piwik no script img

Archiv-Artikel

Kritik der Woche Beliebige Winkel der Welt

Eine Glatze, eine Birne, ein Paar Knie in der Nacht: auch diese „Standpunkt“-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle ist der Fotografie gewidmet. Doch statt der vorausgegangenen bedeutungsschweren, jahrelang präzise erarbeiteten Still-Leben von Stefan Exler ist nun der Verlust der Erinnerung Thema.

„Loch im Kopf“ nennt André Lützen seine Aneinanderreihung von 74 beiläufigen Bildern. Und der Handzettel der Hamburger Kunsthalle verkündet, die Geschichte, der Sinn dabei entstünde eben erst im Kopf des Betrachters. Das allerdings ist immer so, bei aller Kunst und auch sonst im Leben. Aber sich nur darauf zu berufen, ersetzt Zweifel an der Möglichkeit eines überindividuellen Zusammenhanges durch eine fast völlige Beliebigkeit: Warum überhaupt diese Bilder ansehen? Sollten die Betrachter nicht mindestens so angeregt sein vom Blick aus dem Fenster der Kunsthalle, wo Gerüst und Baufolie die Aussicht zur Zeit merkwürdig verzerren?

Seit langem ist klar, dass alles Kunst sein kann, wenn es den Rahmen der Kunst akzeptiert. Speziell Fotografie ist verdächtig, immer wieder bloß Bruchstücke aus der Realität zu rekombinieren. Doch auch in der Kombination liegt meist noch ein Rest von Logik. Hier aber stehlen sich die Vorgaben ausdrücklich aus aller Verbindlichkeit. Das ist bei André Lützen umso erstaunlicher, als er früher auch sozialdokumentarisch gearbeitet hat. So gibt es von ihm eine Serie über Hamburger Graffiti-Künstler, eine andere über die HipHop-Szene in Marseille und Dakar. Doch nun zeigt der 1963 Geborene Nacht und Nebel, Gegenlichter, Spiegelungen und verquere Ecken aus aller Welt. Das ist teilweise sehr schön, das hat manchmal malerische Qualitäten; schließlich ging es Cézanne beim Malen von Äpfeln auch nicht um ein eindeutiges Abbild von Früchten. Doch auch malerischen Fotos unterstellt man immer noch einen Rest von Realität. Und so wird das Interesse geweckt, wie bei einem Standbild aus einem Film.

Doch in dieser Schau bleibt die Suche nach einem Zusammenhang vergeblich. Und wo per saldo jede Geschichte verweigert wird, erlischt bald das Interesse. Zappen geht auch zu Hause. Und dass die Welt so völlig sinnleer sei, ist eine durchaus auch ideologische These. Dieser Position in der Reihe junger Kunst in der Hamburger Kunsthalle fehlt, was die Reihe so prononciert einfordert: ein Standpunkt.

Hajo Schiff

Hamburger Kunsthalle, bis 31.7. Geöffnet Di–So 10–18; Do bis 21 Uhr