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■ Kritik an der Grundrechteverwirkung gegen RechtsradikaleEin rostiges Schwert

Wenn Helmut Kohl und die Seinen sich im antifaschistischen Kampf üben, gibt es nichts zu lachen, auch wenn dieser regierungsamtliche Anti-Extremismus komisch wirkt. Schadenfreude wäre ebenso kurzsichtig: Eine dubiose Staatsschutzmaßnahme verdient nicht schon deshalb unseren Beifall, weil es endlich und ausnahmsweise einmal gegen die „Richtigen“ geht. Wer zuerst klatscht, denkt am schlechtesten.

Den beiden Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz sollen nach Art.18 Grundrechte aberkannt werden. Innenminister Seiters will ein „deutliches politisches Zeichen gegen den Rechtsextremismus“ setzen. Das ist bezeichnend: Zum konkreten Schutz der Menschen fällt dieser Regierung nicht viel ein, stattdessen stellt sie sich schützend vor das Abstraktum „freiheitliche demokratische Grundordnung“. Die propagandistische Absicht des Manövers ist offenkundig. „Führende“ Leute vom Schlage Dienels oder Reisz' gibt es dutzendweise. In der bizarren Gestalt Dienels ist freilich geradezu die Inkarnation der westdeutschen Totalitarismusdoktrin erschienen: ein ehemaliger FDJ- Sekretär, der seinen antisemitischen Verschwörungswahn auf Marx gründet – so einer mimt gut den ideellen Gesamtextremisten des neuen Deutschland.

Wie bitte? „Mißbrauch“ und „Verwirkung“ von Grundrechten? Die freiheitlichste Verfassung, die es je gab, macht es möglich: Nach Art.18 „verwirkt“ die dort aufgezählten Grundrechte, wer diese „zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung mißbraucht. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen“. Art. 18 gehört neben den Artikeln9 Abs.2 (Vereinigungsverbot) und Art.21 Abs.2 (Parteiverbot) zum Kernbestand der vom Bundesverfassungsgericht erstmals im KPD-Verbotsurteil von 1956 so genannten „streitbaren Demokratie“. Seit 1949 gab es zwei dürftige Versuche, Art.18 einzusetzen: Im April 1952 stellte die Adenauer-Regierung einen Antrag gegen Otto Ernst Remer, den Vize-Vorsitzenden der „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP), und bezog sich dabei auf „Propagandareden“. Im März 1969 setzte die Kiesinger/Brandt-Regierung das Verfahren gegen den heute in der DVU aktiven Verleger Gerhard Frey in Gang.

Beide Verfahren wurden aus politischen Gründen nicht weiter forciert. Remer flüchtete zeitweise ins Ausland; im Oktober 1952 wurde die SRP als Nachfolgeorgansiation der NSDAP illegalisiert. Das Interesse an Frey erlosch, als die Wahlerfolge der NPD abebbten. Aufforderungen des Gerichts, substantiiertes Beweismaterial vorzulegen, wurden ignoriert. Also wiesen die Karlsruher Richter beide Anträge im Sommer 1960 bzw. 1974 als nicht hinreichend begründet zurück; in der Sache wurde nicht entschieden.

Art. 18 gilt unter Fachleuten als unbrauchbar. Das Verfahren ist schwerfällig, sein Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Gebrauchswert. Gegen jede einzelne Person muß vor dem allein zuständigen Verfassungsgericht verhandelt werden. Abgesehen davon ist die Kontrolle der politischen Betätigung einzelner sehr aufwendig. Wo immer diese ein Versammlungslokal anmieten, Flugblätter herstellen oder politische Leserbriefe schreiben, müßte die staatliche Überwachung einschreiten. Die „verwirkte“ politische Betätigung von Neonazis unter Polizeiaufsicht: ein Propagandaschlager für Möchtegern-Führer.

Andere machen geltend, daß die Karlsruher Residenz des Rechts ein hochkarätiges Forum für Auftritte „extremistischer“ Wirrköpfe darstelle und diese unnötig aufwerte. Zu den vordergründigen Einwänden zählt auch die instrumentelle politische Einsetzbarkeit des Art.18. Ebenso wie beim Parteiverbot unterliegt die Frage, ob ein Antrag gestellt wird, dem politischen Ermessen. Die Wiederbelebungsversuche an Art.18 GG haben strategischen Charakter. Bis heute gibt es kein Präjudiz, was unter dem Mißbrauch z.B. der Meinungsfreiheit konkret zu verstehen sei. Dem Verfassungsgericht wird die Gelegenheit zugespielt, einen antidemokratischen Sprengsatz im Wege der Interpretation normativ scharf zu machen. Das Weitere obliegt sodann dem politischen Kalkül der jeweiligen Regierung. Die Sorge, eine solche Waffe könne bei passender Gelegenheit vornehmlich gegen Linke zum Einsatz gelangen, ist nicht aus der Luft gegriffen.

Entscheidend aber ist die grundsätzliche Kritik. Artikel 18 gehört als Bestandteil der „streitbaren Demokratie“ zum vor- bis antidemokratischen Bodensatz des Grundgesetzes. Das Schlagwort von der „streitbaren“ und „wehrhaften“ Demokratie ist die verwitterte Metapher eines ideologischen Staatsschutzverständnisses, das präventive Eingriffe in den Bereich des politischen Meinungskampfes vorverlegt.

Gemessen an den herkömmlichen Standards demokratischer Freiheit ist indes die – in dieser Form weltweit einmalige – Grundrechteverwirkung ein notständischer Fremdkörper. Politische Betätigung, die dem Schutz der Grundrechte unterfällt, ist legal und bleibt das normalerweise auch. Mit dem Trick des Art.18 läßt sich nun der „an sich“ legale Grundrechtegebrauch in funktionswidrigen „Mißbrauch“ uminterpretieren: Was legal ist, wird unter Berufung auf die fdGO im nachhinein als illegitim erklärt. Der Sache nach ist das nichts anderes als die Statuierung einer allgemeinen Verfassungstreuepflicht.

Letzten Endes unterscheidet dann ein Verfassungsgericht den „richtigen“ Gebrauch der Grundrechte von ihrem „falschen“. Da indes demokratische Freiheit ihre Zwecke und Beweggründe in souveräner Willkür, jedenfalls staatsfrei setzt, ist jede Form der hoheitlichen Politikkontrolle mit dieser unvereinbar.

Selbstverständlich hat gerade die Demokratie, die ein Maximum an friedlicher gesellschaftlicher Veränderung im Medium von Freiheit und Gleichheit garantiert, das legitime Recht, sich gegen konkrete Versuche ihrer Beseitigung zu behaupten. Von Belang ist daher nicht die Scheinfrage ob, sondern wie demokratische Selbstverteidigung zu bewerkstelligen sei. Die Anwendung von Gewalt bietet dafür das alles entscheidende, rationale Kriterium. Es ist politisch neutral, weil das gewaltsame Mittel ausnahmslos alle politischen Ziele disqualifiziert.

Es gibt mehr als genug Strafgesetze, mit denen den übelsten Auswüchsen neonazistischer Propaganda ein Maulkorb verpaßt werden kann. So sind Volksverhetzung und die „Auschwitz-Lüge“ strafbar. Diese und andere Tatbestände statuieren Kommunikationsunrecht. Das ist aus der Perspektive radikaler Meinungsfreiheit nicht unproblematisch. Es gibt aber diese Strafgesetze und niemand kann daher plausibel behaupten, wir seien ausgerechnet auf die Verwirkung von Grundrechten angewiesen. Am Tage des Kabinettsbeschlusses zu Art.18 hat Dienel wegen Volksverhetzung eine harte Freiheitsstrafe kassiert. Im Vergleich zu halbwegs effektiven Strafprozessen ist das Verfahren der Grundrechtsverwirkung eine politische Verfolgung erster Klasse.

Artikel18 ist praktisch nicht zu gebrauchen und als das rostigste Schwert der „streitbaren Demokratie“ ein Fall für die Verfassungsreform. Auch wenn neonazistische Agitation für zivilisierte Menschen eine nervenzehrende Provokation ist: Antinationalsozialismus, der kein radikales Verhältnis zur politischen Freiheit und Gleichheit entwickelt, bleibt Teil der vordemokratischen Kontinuität in Deutschland. Horst Meier

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