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Archiv-Artikel

Krisenschweigen in Berlin KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Im Nahen Osten droht ein Flächenbrand. Ziel und Ausgang des israelischen Feldzugs sind ungewiss, dürften aber – selbst jenseits aller völker- und menschenrechtlichen Erwägungen – kaum im Interesse des Landes liegen. Oder in dem der übrigen Welt. Für diese Erkenntnis genügt ein Blick auf die Ölpreise. Dennoch wünschen George W. Bush und Tony Blair, dass ebenjene Welt die Hamas und die Hisbollah ähnlich beurteilt wie die Terroristen, die die Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn verübten. Und was tut die deutsche Bundeskanzlerin? Das, was sie am liebsten tut. Sie schweigt.

In der Bundesrepublik hat sich die anfängliche Begeisterung über die moderaten und moderierenden Umgangsformen von Angela Merkel gelegt. Kritik an der blässlichen Erscheinung der Regierungschefin wächst, und sie ist berechtigt. Aber die Außenpolitik folgt anderen Regeln als die Innenpolitik. Die Krise im Nahen Osten gebietet, was sich bei der Gesundheitsreform verbieten sollte: öffentliche Zurückhaltung.

Jede pointierte Äußerung der Kanzlerin oder ihres Außenministers könnte nur Öl ins Feuer gießen. Nibelungentreue würde ihnen vorgeworfen, stellten sie sich an die Seite der USA und Israels. Achsenbildung und sogar Antisemitismus lauteten die Unterstellungen, sollte ausgerechnet eine deutsche Regierung neben Russland und Frankreich (und dem Vatikan) ein Ende des Blutvergießens fordern. Markige Worte verhärten derzeit die Fronten.

Die zentrale Frage lautet: Was will Washington? Sucht die Bush-Regierung nach einem Weg der Entspannung, ohne dass Israel das Gesicht verliert? Oder wird sie versuchen, die Entwicklung zu nutzen, um in Damaskus, womöglich sogar in Teheran, einen Regimewechsel zu erzwingen? Niemand kann die letzte verbliebene Weltmacht an Fehlern hindern, die sie zu begehen wünscht. Aber falls sie – und das ist vorstellbar! – selbst verunsichert ist, dann mag es hilfreich sein, wenn Verbündete die Grenzen ihrer Solidarität abstecken.

Auch die USA haben allerdings ein berechtigtes Interesse an Gesichtswahrung. Öffentliche Bekenntnisse sind deshalb vielleicht imagefördernd. Aber dennoch kontraproduktiv.