Kriminelle Energie : Die Anzeige
Von Verträumtheit zur Kriminalität ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Selbst an einem harmlosen Tag – ich hatte frei – drohte mir unangenehmer Besuch von der Polizei.
Der Tag begann müde. Mir fiel es schwer, die Kinder rechtzeitig in die Kita zu bringen. Der Große trödelte beim Zähneputzen, und die Kleine konnte sich lange nicht entscheiden, ob sie die rote oder blaue Jacke anziehen wollte. Und mir fehlte der Zug zum Tor, aber irgendwie schafften wir es mit dem Auto zum Kindergarten.
Nach dem Großeinkauf fuhr ich zur Tankstelle, füllte den Tank und kaufte eine Zeitung. Daheim dann der klassische Haushaltstag: aufräumen, Müll rausbringen, Wäsche waschen. Zum Putzen hatte ich keine Lust mehr; ich brauchte Bewegung an frischer Luft. Ich schwang mich aufs Fahrrad und fuhr zu dem schönen See im Wald, eine halbe Stunde von meinem Dorf am Stadtrand entfernt.
Im Ort zurück, kaufte ich beim Bäcker einen Pfannkuchen. Auf einer Zeitungswerbetafel war ein Artikel angekündigt, der mich interessierte. Leider war die Zeitung beim Bäcker ausverkauft. Also fuhr ich zur Tankstelle, um sie dort zu kaufen. Vor mir an der Kasse stand ein Mann; hinter der Kasse waren plötzlich drei Frauen, die tuschelten. „Sie haben heute Morgen Ihre Tankrechnung nicht bezahlt“, sagte eine barsch, als ich dran war, „wir haben gerade die Anzeige geschrieben.“ „Tut mir leid“, antworte ich, „das habe ich leider vergessen, ich kann ja jetzt zahlen.“
Die Frau zog ungläubig ihre Augenbrauen hoch. Schnell sagte ich: „Ich bin doch nicht bescheuert und mache so was mit Absicht. Ich komme hier ja öfter her.“
Die Kassiererinnen steckten die Köpfe zusammen. Schließlich sagte eine: „Da haben wir ja noch mal Glück gehabt, wir wollten gerade die Anzeige rausfaxen.“ Ich zahlte und schlich raus. Seitdem tanke ich erst einmal woanders. RICHARD ROTHER