Kriminalstatistik und Migrationshintergrund: Ausländerkinder unter Verdacht
Mit unabgestimmten Vorstößen brüskiert Hamburgs Innensenator Ahlhaus (CDU) regelmäßig den grünen Regierungspartner. Jetzt droht ein Koalitionsstreit darüber, ob der Migrationshintergrund von Straftätern erfasst werden soll.
Es knarrt im schwarz-grünen Gebälk. Mal wieder geht es um die Innenpolitik und mal wieder treibt Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) eine Sau durchs Dorf, die es nun einzufangen gilt. Diesmal startet Ahlhaus - schon im vergangenen Jahr ein Meister der unabgestimmten Vorstöße - eine Offensive, die Kriminalstatistik zu verändern. Künftig soll, so will es Ahlhaus, der Migrationshintergrund von Straftätern erfasst werden. Ein Vorschlag, der dem grünen Koalitionspartner schwer im Magen liegt. "Fachlich und politisch falsch", bewertet die innenpolitische Sprecherin der GAL, Antje Möller, die Ahlhaus-Offensive knapp.
Bereits in der vorigen Woche vereinbarte Ahlhaus telefonisch mit dem bayerischen Innenminister Joachim Hermann (CSU), eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzurichten, in der die praktische Umsetzung einer solchen Datenerhebung vorbereitet werden soll. Doch während sich Ahlhaus mit seinem 800 Kilometer entfernten Amtskollegen abstimmte, erfuhr der grüne Koalitionspartner aus der Presse von den Ahlhausschen Gedankenspielen. "Es ist nicht üblich, dass jedes Telefonat unter Koalitionspartnern vorher abgestimmt wird", begegnet der Innensenator brüsk dem Vorwurf, er habe die GAL zu spät informiert.
Obwohl Möller signalisierte, ihre Partei sei "entschlossen gegen" die Datenerhebung, bleibt Ahlhaus auf Kurs und befeuert die Medien mit seinem Vorschlag - ganz so, als reagiere die CDU noch immer allein in Hamburg. Über die Aufnahme des Kriteriums Migrationshintergrund will der Senator "noch mehr Informationen zur verbesserten Prävention und Strafverfolgung" erhalten.
Im Juli 2008 preschte Christoph Ahlhaus zum ersten Mal unabgestimmt mit der Ankündigung vor, er wolle Online-Durchsuchungen im Polizeigesetz verankern. Sechs Wochen später verblüffte er nach Krawallen im Hamburger Schanzenviertel den Koalitionspartner mit der Ansage, das dortige Straßenfest werde in Zukunft ohne Anmeldung nicht mehr geduldet. Mitte November erfuhr die Öffentlichkeit, Ahlhaus dulde, dass der Verfassungsschutz jede Person überprüft, die einen Infostand anmeldet. Zwei Wochen später kündigte er unabgestimmt an, er werde mehrere Sendeanstalten auffordern, dem Ex-RAF-Mitglied Christian Klar kein Forum in Interviews oder Talkshows zu bieten. Kurz vor Weihnachten ließ Ahlhaus schließlich eine angemeldete Demo polizeilich einkesseln und verhinderte so ihren Weiterzug auf der bewilligten Route. MAC
Doch mit diesem Vorstoß hat der CDU-Senator nicht einmal die eigene Partei auf seiner Seite. So lehnen sowohl die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer (CDU), wie auch die Vorsitzende des Beirats der Antidiskriminierungsstelle, Barbara John (CDU), das Hermann-Ahlhaus-Konzept entschieden ab. Der Vorschlag, so Böhmer, habe "eine falsche Signalwirkung für viele integrationswillige Migranten in Deutschland" und verdecke eher den Blick auf "die vielfältigen Ursachen von Kriminalität". Nicht erfasste Kriterien wie "Schulbildung und Vermögenssituation", so John, seien viel entscheidender. Allein Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) springt Ahlhaus bei, sieht die polizeiliche Präventionsarbeit durch eine solche Datenerhebung gestärkt.
Antje Möller hingegen befürchtet, "eine Stigmatisierung" von Menschen mit Migrationshintergrund. Ahlhaus Vorstoß sei eine "populistische Reaktion" auf das Kriminalitätsthema und laufe in "die latente Gefahr, rassistisch zu sein". Zudem zeige "die gesamte sozialwissenschaftliche und politische Diskussion auf Bundesebene" auf, dass die Aufnahme des Kriteriums "fachlich keinen Sinn" mache.
Besonders die Erfahrungen im rot-roten Berlin, wo seit vergangenem Oktober der Migrationshintergrund von Tatverdächtigen erfasst wird, seien "sehr negativ". Hier zeige sich, so Möller, wie groß die Gefahr sei, Menschen mit Bundespersonalausweis in "Deutsche erster und zweiter Klasse zu unterteilen". Noch schroffer fällt die Kritik der Linkspartei aus. "Ahlhaus unerträglicher Vorstoß schürt Vorteile, die offen diskriminierend und rassistisch sind und ist damit Gift für eine erfolgreiche Integration", poltert ihre innenpolitische Sprecherin, Christiane Schneider. Ahlhaus sieht diese Gefahr nicht. Die Sorge, dass Menschen mit Migrationshintergrund stigmatisiert würden, sei unbegründet: "Eine verbesserte Erkenntnislage hilft auch, Vorurteile zu entkräften."
Problem für Schwarz-Grün: Anders als bei vielen Ahlhaus-Vorstößen der Vergangenheit scheint ein Kompromiss bei der Datenerfassung nicht möglich. Zwar gibt sich Ahlhaus "zuversichtlich", den "Dissens" zwischen CDU und GAL "auflösen" zu können, doch Möller erteilt dieser vagen Prophezeiung eine klare Absage: Sie sehe "keine Einigungschancen".
Damit werde, so die grüne Innenpolitikerin, die Datenerfassung bald zu "einem Thema auf Koalitionsebene" werden. Zu einem unerfreulichen. Denn da eine Verständigung in weiter Ferne liegt, scheint beim innenpolitischen Fingerhakeln der Gesichtsverlust von einem der beiden Partner garantiert. Ahlhaus gehe es bei "seinem unabgestimmten Vorstoß nicht um die Sache", mutmaßt der Hamburger SPD-Innenexperte Andreas Dressel. Sondern allein "um eine Provokation des Koalitionspartners".
Die ist ihm fraglos gelungen.
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