Kreuzberg: Der Kiez ist gesättigt
Um kleine Gewerbe vor der Verdrängung zu schützen, verbietet der Bezirk zusätzliche Restaurants und Cafés im Graefekiez. Anwohner, Café-Angestellte und Touristen sehen es mit gemischten Gefühlen.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will die Eröffnung neuer Cafés und Restaurants im Graefekiez verbieten. „In unserem Bezirk gibt es eine deutliche Zunahme an gastronomischen Einrichtungen“, sagte Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers (SPD) der Berliner Morgenpost. „Eine Gaststätte nach der anderen, das wollen wir aber nicht.“ Außerdem hätten sich Anwohner verstärkt über den Kneipenlärm beschwert.
Laut der Baunutzungsverordnung ist das Verbot solcher Gewerbe möglich, „wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind“. Im Dezember hatte das Bezirksparlament auf Antrag der Grünen beschlossen, diesen Paragrafen auf Kieze anzuwenden, in die immer mehr Gastronomie drängt. „Bäckereien, Gemüsehändler, Friseure, Bekleidungsgeschäfte, Blumen, Farben- oder Trödelläden können die gestiegenen Gewerbemieten nicht mehr zahlen und werden verdrängt“, hieß es zur Begründung des Antrags.
Vorreiter in Berlin war der Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Die grüne Stadträtin Sibyll Klotz lehnte dort die Eröffnung weiterer Restaurants in der Maaßenstraße am Winterfeldtplatz ab. Die Gegend sei „mit Gastronomie überversorgt“. Der 24-jährige Graefekiez-Anwohner Ahmed El-Helwe freut sieht das Verbot zwiespältig. „Ich finde es gut, wenn keine Kneipen mehr kommen. Aber Imbissbuden gerne, es könnte noch mehr Angebote zum Essen geben.“ Es geht ihm nicht nur um das Angebot, sondern auch um die Gäste, die es anzieht. „Hier sind immer die besoffenen Jugendlichen, die machen Krach“, sagt er.
Lena Sauer, die als Bedienung im Café Matilda arbeitet, sieht das Verbot kritisch: „Ich zweifele, ob die Stadt alles vorschreiben sollte. Ich denke, im Moment sind Angebot und Nachfrage hier im Einklang. Warum muss man alles regulieren?“ Die Münchner Touristin Heidi Janetzki mag den Kiez sehr: „Ich wohne gerade hier in der Nebenstraße. Wenn man hier entlanggeht, gibt‘s ein riesiges Angebot. Da möchte man sich ja überall niedersetzen, so reizend ist das.“ In München ist es ähnlich, sagt Janetzki: „Da eröffnet auch überall Gastronomie, die Lokale schießen wie Pilze aus dem Boden. Vor allem im Sommer ist das dann schlimm für die Anwohner – beim Lüften zum Beispiel, da ziehen die ganzen Gerüche durch die Luft.“ Bernd Kalmus, 57 Jahre, ist aus dem Kiez weggezogen und gerade nur zu Besuch. „Das war mal ein richtiger Arbeiterkiez, jetzt ist hier alles total schicki-micki. Da sind bestimmt mal Grüne hergezogen und haben sich überlegt, dass man es schick macht“, glaubt er. Die 23-jährige Natalia, die im Café Principe Di Napoli bedient, fände eine bessere Verteilung gerecht: „Hier gibt‘s schon so viel. Andere Bezirke könnten vielleicht mehr gebrauchen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland