Konzert im Berliner Club Gretchen: Queere Königin des „Bounce“
Die Rapperin Big Freedia aus New Orleans trägt einen HipHop-Stil in die Welt, dessen Markenzeichen das hyperrapide Arschwackeln ist.
Sie tun es im heimischen Schlafzimmer, in Tanzstudios, Vorgärten, auf dem Asphalt, an Türen, Küchenablagen und Autos. Männer und Frauen gleichermaßen, allein, zu zweit oder in Gruppen, in Hotpants, Shorts, Leggins: twerken, also alle Fasern, Muskeln, Gewebe rund ums Steißbein in hyperrapide Bewegung versetzen.
Es geht dabei um eine der ansteckendsten Musikrichtungen aus New Orleans, den Bounce. Am 8. Mai rief nun die Königin des Bounce, die Rapperin Big Freedia, auf ihrem Instagram-Account unter dem Hashtag #freediapaymyrent zu einem Video-Wettbewerb auf: Wer am besten zu ihrem neuen Song „Rent“ twerkt, der- oder demjenigen „Booty Shaker“ zahle sie höchstpersönlich die Miete.
Das Thema besitzt gleich auf mehreren Ebenen Brisanz. Seit den Verwüstungen in weiten Teilen von New Orleans infolge des Hurrikans „Katrina“ im Jahr 2005 hat sich die Lage auf dem Immobilien- und Mietenmarkt der Stadt exponentiell überhitzt, wogegen sich die angespannte Lage in Berlin, mit Verlaub, wie Revierkämpfe in einer Kleingartenkolonie ausnimmt.
Viele der evakuierten Bewohner_innen konnten erst gar nicht nach New Orleans zurückkehren, andere lebten jahrelang in Behelfsunterkünften oder bei Verwandten, bis heute liegen ganze Stadtteile brach. Wer sich ein Haus leisten kann sieht sich mit explodierenden Versicherungssummen konfrontiert, die gefräßige „Airbnbisierung“ alteingesessener und kulturell bedeutsamer Nachbarschaften in unmittelbarer Nähe zum touristischen Hauptziel, dem French Quarter, verdrängt die Bewohner_innen an die äußersten Ränder der Stadt.
Aufbauhilfe nach Hurrikan „Katrina“
Big Freedia und ihre Verwandten wurden nach „Katrina“ in letzter Minute aus ihrem überschwemmten Viertel gerettet. Im Haus stand das Wasser fast drei Meter hoch, das halbe Dach war zerstört, auf der anderen stand Big Freedia und rief den letzten funktionierenden Radiosender an, um um Hilfe zu bitten. Dann folgt eine Odyssee durch Massenunterkünfte, bevor sie in LaPlace, Louisiana, ein Haus von unten bis oben saniert und anschließend als eine der Ersten nach New Orleans zurückkehrt.
Ununterbrochen arbeitet Big Freedia, um die Stadt wieder aufzubauen. Tagsüber als Innenarchitektin, nachts absolviert sie bis zu fünf Shows. Sie tourt, um den Bounce bekannter zu machen und Evakuierte zur Rückkehr in ihre Heimatstadt zu bewegen. 2010 veröffentlicht sie das Album „Big Freedia Hitz Vol. 1“ auf dem eigenen Label, dann erscheint in der New York Times ein längerer lobender Artikel über sie.
Allerdings werden 2017 noch ganz andere Dinge über Big Freedia bekannt: So soll sie zwischen 2010 und 2014 offenbar nicht nur Mieterin, sondern auch Vermieterin gewesen sein. 2016 wird sie schließlich zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe in Höhe von 35.000 Dollar und 100 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Ihr Vergehen: Im besagten Zeitraum hatte sie ein niedriges Einkommen angegeben und dadurch Wohnzuschüsse erhalten.
Am Dienstag tritt Big Freedia im Gretchen auf. Support-Act ist das kalifornische Indie-Pop-Projekt NVDES. Big Freedia & NVDES: Gretchen, Obentrautstr. 19-21, 22. Mai, 21 Uhr, 18 Euro
Im Video zu ihrem neuen Song „Rent“ rückt sie, im roten Overall, mit einem Räumkommando aus vier Superwomen mit Kettensäge und Werkzeug an, um einem säumigen Ex-Lover und Mieter aus einem ihrer Häuser zu schmeißen.
Seit 2013 hat Big Freedia auch eine eigene Reality-TV-Show, in der vieles aus ihrem Privat- und Bühnenleben über den Bildschirm flimmert, auch der Kampf ihrer Mutter, Freedias härtester Kritikerin und engster Beraterin, gegen den Knochen- und Lungenkrebs, dem Vera Ross 2014 erlag. Die sechste Staffel von „Big Freedia bounces back“ lief 2017, zwischendurch veröffentlichte sie noch ihre Autobiografie „God Save The Queen Diva“.
Geboren wurde sie als Freddie Ross, als Erwachsene bezeichnet sie sich selbst als schwulen Mann, nicht als trans*Person. Freedia ist fast einsneunzig groß, zu allen Gelegenheiten trägt sie fulminante Roben, Anzüge und Haartollen, die Haarfarbe wechselt sie je nach Fasson von rot zu blau zu pink zu schwarz, in Berlin dürften ihre Locken noch golden sein, so wie beim Auftritt mit einem Gospelchor beim Jazzfest New Orleans Ende April.
Ihre volltönende, tiefe Stimme ist zwar im Mainstream angekommen, als nonbinäre Persönlichkeit ist ihre Erscheinung jedoch selten erwünscht, selbst bei Kooperationen, etwa mit dem Rapper Drake und der Popkönigin Beyoncé. So eröffnet Freedia Drakes aktuellen Song „Nice for what“ mit den Worten „I wanna know who mothafuckin’ representin’ in here tonight. Hold on, hold on“, danach geht es im Video aber ziemlich binär zu mit weiblichen Geschlechterklischees von der Ballerina bis zur Badenixe.
Ohne männliches Potenzgebaren
In Beyoncés „Formation“ von 2016 wiederum mahnt Freedias Stimme eindringlich „I did not come to play with you hoes. I came to slay, bitch. I like cornbread and collard greens bitch!“. Bezeichnend ist, dass sie in dem Video, das in New Orleans und Louisiana gedreht wurde, selber nicht vorkommt. In ihrem Webshop allerdings gibt es eine Leggins mit Prints von Maisbrot und Kohlblättern zu kaufen.
Für den Mainstream-HipHop und -Pop ist Bounce zu reich an möglichen Geschlechtsidentitäten, zu frei von Sexismus und männlichem Potenzgebaren, zu selbstironisch und verliebt ins Tanzen für alle. Innerhalb der USA werden die offenen Botschaften des Bounce deshalb mit dem Hinweis auf eine Südstaatenspielart des HipHop abgetan, obwohl ihm Weltruhm und Big Freedia sämtliche Musikpreise gebühren.
Im Januar ist sie vierzig Jahre alt geworden doch nur vier Tage vor ihrem Geburtstag wurde ihr Bruder von einem Unbekannten auf der Straße erschossen. Sie teilte ihr Leid mit ihren Fans und entschuldigte sich dafür, drei Shows abzusagen – nur drei. In Europa gibt sie nun einige Konzerte, und auch für die Berliner gilt dabei: Shake ya booty for the queen!
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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