piwik no script img

Konkurs bei Indie-Vertrieb "Hausmusik"Jetzt auch die Guten

Die Krise der Musikindustrie ist in der Indie-Nische angekommen. Mit dem Kollaps des Pop-Vertriebs "Hausmusik" verliert die deutsche Szene ein wichtiges Standbein.

Vinyl lohnt sich schon lange kaum noch für kleine Labels. Ob der Indie-Gestus im Internet gut aufgehoben ist? Bild: dpa

Im Büro des Berliner Independent-Labels Morr Music herrscht angespannte Betriebsamkeit. Vor ein paar Wochen wurde überraschend bekannt, dass das Münchener Label Hausmusik gemeinsam mit dem gleichnamigen Pop-Vertrieb seine Arbeit einstellt. Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass Morr Music und 50 weitere deutsche Indie-Plattenfirmen von einem Tag auf den anderen ohne Auslandsvertrieb dastanden. Für Morr Music, das Label von Künstlern wie Lali Puna, Ms. John Soda und Masha Qrella, das den Großteil seiner Umsätze in den USA und Japan macht, eine Existenz bedrohende Situation: "Da wurde viel Geld vernichtet", sagt Labelchef Thomas Morr. Die letzten Wochen mussten er und seine Mitarbeiter viele Überstunden machen, um all jene Schallplatten und CDs des Labels zu sichern, die noch auf Kommission in Plattenläden rund um den Globus stehen. Auch das Berliner Label Monika Enterprise wurde vom plötzlichen Ende von Hausmusik kalt erwischt: So wird die neue CD der F.S.K.-Bassistin Michaela Melián wegen der Turbulenzen einige Wochen später als geplant in den Läden stehen.

Immerhin haben die Etablierteren unter den Indies wie Morr Music und Monika Enterprise schon nach kurzer Zeit neue Vertriebspartner finden können. Viel schlechter sieht es für die rund zwei Dutzend ebenfalls von Hausmusik vertrieben Kleinstlabels aus, die angesichts der angespannten Marktlage nur geringe Chancen haben, von einem anderen Vertrieb übernommen zu werden. Auf der diesjährigen Popkomm haben weitere Vertriebe hinter vorgehaltener Hand angekündigt, sich von einem Teil ihrer Labels trennen zu wollen. Die Folgen sind absehbar: "Viele der kleineren Veröffentlichungen werden bald aus den Läden verschwinden", meint Tim Tetzner, Inhaber des auf Electronica spezialisierten Plattenladens Dense in Berlin.

Als lokales Kleinstlabel hatte einst auch Hausmusik angefangen. Vor nunmehr 16 Jahren vom gelernten Elektriker Wolfgang Petters im bayerischen Landsberg gegründet, diente es zunächst als Plattform für seine eigene Punkband Fred Is Dead sowie für weitere befreundete Musiker aus dem Umfeld von The Notwist. Vor allem diesem kreativen Klüngel ist es zu verdanken, dass die Veröffentlichungen von Hausmusik mit ihren liebevoll gestalteten, im aufwändigen Siebdruckverfahren hergestellten Plattencovern bald über die Grenzen des Freistaats bekannt waren. Ende der Neunziger wurde das Label dann zu einem Vertrieb ausgebaut, der Plattenläden im In- und Ausland belieferte. Eben diese Sparte wurde Hausmusik nun zum Verhängnis: Weil die Umsätze zuletzt um bis zu 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrachen, zog Wolfgang Petters kurzerhand die Notbremse, um dem drohenden Konkurs zuvorzukommen.

Doch es hat den Anschein, als sei der Kollaps von Hausmusik nur das Symptom einer viel tiefer greifenden Krise, welche die ganze Branche erfasst hat: "Die Lage ist katastrophal", sagt Gudrun Gut, Labelchefin von Monika Enterprise. "Der Markt ist völlig zusammengebrochen. Man kann heute als kleines Label einfach so gut wie keine Platten mehr verkaufen." Das ist bitter. Dabei hatte es doch vor einiger Zeit noch so ausgesehen, als seien die Indie-Labels die heimlichen Gewinner der allseits beklagten Krise der Musikindustrie. Im Vergleich zu den großen Major-Konzernen wie Universal und EMI, die infolge der starken Zunahme von illegalen Downloads schon vor Jahren einen dramatischen Umsatzeinbruch verzeichneten, hatten sich die kleineren Labels bislang als krisenfester erwiesen. Es schien, als gehörten die Indie-Hörer zu einem besonderen Menschenschlag, der auch dann noch viel Geld für Vinylpressungen bezahlt, wenn er die gleiche Musik umsonst im Netz herunterladen kann.

Doch diese Zeiten sind vorbei. "Die Ankunft der Krise hat sich bei uns einfach nur um ein paar Jahre verzögert", stellt Thomas Morr rückblickend fest. "Das hat dazu geführt, dass man teilweise wichtige Entwicklungen, wie die Umstellung auf den digitalen Download-Vertrieb, verschlafen hat. Die Major-Labels sind heute vielfach besser auf die neue Situation eingestellt als wir."

Der neue Rationalisierungsdruck, dem sich die Indie-Labels ausgesetzt sehen, wird nicht ohne Folgen für die Musiker bleiben. Schon jetzt ist abzusehen, dass man von Labelseite künftig versuchen wird, einen Teil der Risiken auf die Bands abzuwälzen: "Wir können den Künstlern nicht mehr das gewohnte Rundum-Sorglos-Paket bieten", sagt Thomas Morr offen. Weil die kleinen Labels heute nicht mehr allein vom Tonträgerverkauf leben können, läuft alles darauf hinaus, dass sie sich künftig an den Einnahmen der Musiker aus Airplay und Livekonzerten beteiligen lassen werden. Diese bei Major-Labels längst übliche Praxis wurde von Indie-Seite bisher abgelehnt, weil es den eigenen Überzeugungen widersprach.

Doch im Zuge der aktuellen Krise wird wohl ein Teil der alten Indie-Philosophie, die den Künstler und seine Musik in den Mittelpunkt stellte, geopfert werden. Wie kaum ein anderes Label hat Hausmusik in seiner Anfangszeit diese Philosophie gepflegt: veröffentlicht wurde nur, was Wolfgang Petters und seinen Freunden gefiel. Stirbt mit Hausmusik also eine ganze Subkultur? "Das Bedürfnis nach neuartiger, spannender Musik wird bleiben", ist sich Tim Tetzner sicher. "Aber für unbekannte Künstler wird es künftig sehr viel schwerer werden, überhaupt bei einem Label unterzukommen und Platten zu veröffentlichen. Vermutlich wird sich der Indie-Gestus damit weiter ins Internet verlagern."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • MF
    Maximilian Freudenschuß

    Ich muss Joseph Kaputt größtenteils recht geben. Dass Vertriebe wie Hausmusik keine Käufer mehr finden, liegt nur zum Teil an illegalen Downloads. Die Produktionsverhältnisse haben sich nun mal so weit demokratisiert, dass jeder, den es interessiert, eine recht ansprechende Produktion als solche hinbekommt - wenn ich mir also die Musik selber machen kann, warum dann in Massen von anderen kaufen? Hausmusik hat wie so viele andere den Markt mit völlig unnötigen Variationen des immergleichen oder mit dilettantischer, vermeintlich politisch motivierter DIY-Elektronik übersättigt. Man kann sich auch in seiner Nische totlaufen. Diese Erfahrung müssen wohl jetzt einige machen, die sich bisher zu gut in ihrer eingenistet haben.

  • JK
    joseph kaputt

    natürlich kommt das jetzt wie ein großer schlag. hausmusik hat ausgedudelt, und hier wie in den staaten hat sich die krise der großen indies schon lange abgezeichnet. kleine platenläden machen alerorts schon seit jahren gerne dicht. warum? vielleicht weil zwischen einem großen indielabel wie hausmusik, morr, matador oder epitaph und den "echten" majors nur ein wenig mehr als marginaler unterschied besteht, der sich in gewissen ideellen gewissenseinsellungen und vorbehalten manifestiert.

    und mal ehrlich: es gibt nichts übersättigteres als den musikmarkt. jede/r kann ein instrument in die hand nehmen, heute lässt es sich auch noch verhältnismäßig billig und bequem aufnehmen und produzieren. end-80er-lo-fi-charme ist auch passé, weil jeder idiot uahuse amschreibtisch ein stadienrock-lbum einspielen kann. und der musikmarkt ist schon seit ewigkeiten bananenrepublik. dass der konsument, ob nun eher indie- oder major-sozialisiert ist da egal, dazu neigt, sich nur noch ausgewähltes zuzulegen, ist da mehr als verständlich. alles andere lässt sich auch aus dem netz ziehen, wird als wegwerfprodukt ein paar wochen gehört und dann - oftmals zurecht - wieder gelöscht.

    eine katastrophe für alle, die davon ausgegangen sind, dass man in der indiebranche reich werden kann. aber wenn man sich zurückerinnert: geplant war das doch nie. und ist es nicht gerade das wunderbare und magische, musik zu machen und zu vertreiben, ohne dabei auf das große geld zu schielen? musik aus rein ideellen gründen zu machen? aus einem verlangen heraus, egal, wer das nun kauft oder nicht. ich will nicht mit adorno und der "kulturindustrie" anfangen, aber ich will es mal eingeworfen haben. tokio hotel sind eine firma, und ich finde es ganz sympathisch, dass es das noise-duo von nebenan nie sein wird. denn wer von musik leben möchte, der muss eben auch kompromisse eingehen, die ide gegenstze zwischen groß und klein komplett verwischen. und "d.i.y." bedeutet ja nicht, dass man etwas selbst und igenständig auf die beine stellt. es geh nicht darum, dass man etwas macht, wondern wie man es macht. ansonsten wäre der metzger bei mir an der straßenecke nämlich mindestens so diy wie morr.

    und auch in deutschland gibt es noch immer genug klein- und kleinstlabels und -vertriebe, die genau aus diesen ursprünglichen do it yourself-motiven weitermachen und eine kleine aber treue gemeinde um sich scharen. stellvertretend für viele andere sei hier nur das nagolder label (und vertieb) x-mist erwähnt. oder das narshardaa-label. oder company with the golden arm-booking aus hamburg. das liesse sich ewig fortsetzen.

    und vielleicht findet sich so auch für den konsumenten, endnutzer, wie immer man ihn nennen möchte, auch eine neue chance: dass musik entdecken wieder zum abenteuer wird, dass das zynisch-gelangweilte "been there, heard hat" einem neuen enthusiasmus weicht. schließlich gibt es immer noch genug kleine bands, veranstalter und vertriebe, bei denen musik noch mehr mit enthusiasmus und bewusster gegenkultur als mit zahlen und marketingstrategien zusammenhängt, wo von anfang an klar ist, dass man keinen cent damit verdienen wird, und es trotzdem - oder vielleicht genau deswegen - macht. mahen muss.