Konferenz gemeinnütziger Internet-Profis: Ein neues soziales Netz
In Berlin trifft sich die Szene gemeinnütziger Internet-Profis zu einer lockeren Konferenz, genannt "Socialcamp". Zweck: Die Vernetzung der Welt. Ziel: die Rettung derselben.
BERLIN taz Wenn Timo Luthmann über das revolutionäre Potential des Web 2.0 referiert, wird es grundsätzlich. "Die Leute haben keinen Bock mehr, von oben gesagt zu bekommen, was sie tun sollen", sagt er. Oben, damit sind in diesem Fall die etablierten NGOs wie Greenpeace oder Brot für die Welt gemeint. Unten, das ist eine junge und agile Szene von Online-AktivistInnen, die das Internet mit dem Ziel nutzt, die Welt zu verbessern. Timo spricht engagiert und daher etwas zu laut für den kleinen Kreis, der sich um den Tisch versammelt hat. Sechs Zuhörer, fünf aufgeklappte Laptops, ein Beamer. "Durch die Werkzeuge des Web 2.0 entstehen für soziale Bewegungen echte Alternativen zu institutionalisierten Organisationen", führt er aus. Timo geht es um Partizipation. Mit Freunden entwirft er gerade ein Social Network für soziale Bewegungen. Arbeitstitel "mensch.coop". Er hat sich in großen Lettern "Freiheit" auf den Unterarm tätowiert. Freiheit ist sein Thema beim ersten deutschen Socialcamp, das am Wochenende in Berlin-Kreuzberg stattfand.
Ziel der Veranstaltung war es, offline das nachzuholen, was die meisten der Teilnehmer online bereits hinter sich haben: sich kennenlernen, Ideen und Erfahrungen austauschen, sich vernetzen. Rund 100 Online-ExpertInnen und eine handvoll VertreterInnen gemeinnütziger Organisationen trafen sich dazu in betont lockerer Atmosphäre in einem Kreuzberger Hinterhof-Loft. Keine starren Vorträge, kein festes Programm. Stattdessen lebhafte Diskussionen, Aufbruchsstimmung und viel Optimismus, die neuen Netztechnologien für nachhaltige Veränderungen nutzen zu können.
Einem Trend aus den USA folgend war das Socialcamp als sogenanntes "Barcamp" angelegt. Auf klassischen Konferenzen finden die eigentlich interessanten Gespräche in der Kaffeepause statt, so die Überlegung. Die Onliner machten daher die Kaffeepause zur Regel. Eine produktive Form von selbstorganisiertem Chaos war die Folge. "Weiß jetzt irgendjemand, wie das hier funktioniert?", wollte einer bei der Vorstellungsrunde noch wissen. Kurz darauf schlenderte auch er umher, lauschte da einem Vortrag, führte hier ein Gespräch.
In den Workshops ging es mal ganz grundsätzlich um Schwarmintelligenz und mal ganz speziell um Blog-Technik für Non-Profit-Organisationen. Die verschiedensten Online-Projekte stellten sich vor: vom Politblog Alles-was-gerecht-ist.de über Informationsportale wie Helpedia.org bis hin zu neuen Websites, die online Spenden für gemeinnützige Zwecke aquirieren wollen wie betterplace.org. Man konnte den Eindruck gewinnen, der konstituierenden Sitzung einer neuen Art von sozialer Bewegung beizuwohnen.
Fragt man Dieter Rucht, der am Wissenschaftszentrum Berlin über soziale Bewegungen forscht, ob dieser Eindruck stimmt, erhält man eine sehr reservierte Antwort. "Meine generelle Meinung ist, dass das Internet als Mittel der Mobilisierung grandios überschätzt wird", sagt er. Von einer neuen, gar egalitären sozialen Bewegung mag er deswegen nicht sprechen. "Ich sehe keinen qualitativen Quantensprung durch das Internet, ich sehe vor allem Hoffnungen und Erwartungen."
Für Ingo Frost haben sich viele Erwartungen aber bereits erfüllt. Ingo vernetzt mit seiner Plattform wikiwoods.org Menschen, die Bäume gegen den Klimawandel pflanzen. Die Einstiegshürde für das Engagement ist niedrig. "Es gibt eine Freiwilligenliste, in die sich jeder eintragen kann, der sagt: Ja, ich habe einen Spaten zu Hause", erklärt Ingo. Seine dünne Stimme gewinnt deutlich an Kraft, wenn er von den Erfolgen berichtet. "Da treffen sich dann um acht Uhr morgens 40 Leute, die sich noch nie gesehen haben, am Waldrand, um Bäume zu pflanzen." 2.680 Bäume hat Ingo mit seinen Mitstreitern bereits gepflanzt. Ein überschaubarer Beitrag zur Weltrettung. Noch. Denn dass die vielen kleinen Projekte und Ideen wachsen werden, das ist auf dem Socialcamp Konsens.
Der Erfolg hängt allerdings nicht nur vom Engagement der Aktivisten ab, sondern auch von der Reaktion der etablierten gemeinnützigen Organisationen. Und die ist nicht selten abwartend bis zurückhaltend. "Eigentlich soll die Konferenz hier auch dazu dienen, den klassischen NGOs zu helfen", sagt Sebastian Schwieker, Geschäftsführer von Helpedia.org und Mitorganisator des Socialcamp. Eigentlich. Gedacht war an ein Verhältnis von 50/50 zwischen Online-Experten und denjenigen, denen sie ihre Kenntnisse und Ideen schmackhaft machen wollten. Auf der Anmeldeliste finden sich aber gerade einmal 8 NGO-Vertreter. "Man darf die Bürokratie bei den Großen nicht unterschätzen", meint Schwieker. "Und mitunter fehlt dort auch die Kompetenz."
Aber warum umarmen die klassischen NGOs diese junge Szene nicht, lauter junge Leute mit frischen Ideen und technischem Know-how, bereit, sich für einen bessere Welt zu engagieren? "Wir haben jede Woche mehrere Anfragen, wir sollten hier mitmachen oder da mitbloggen", sagt Volker Gaßner, bei Greenpeace verantwortlich für den Bereich New Media. Inzwischen ist man aber von den Vorteilen des Mitmach-Internets überzeugt. 50 Seiten dick ist die neue Internet-Strategie von Greenpeace. Gaby Frank, einzige Online-Redakteurin bei der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, sagt: "Das Know-how ist keine Hürde, aber es ist auch eine Frage der Kapazitäten, die uns für den Internet-Bereich zur Verfügung stehen." Und Astrid Marxen von Care Deutschland meint: "Der Nachteil ist, dass das sehr pflegeintensive Seiten sind, die viel Arbeit machen."
Dass es nur um fehlende Kapazitäten geht, glaubt Jochen Holtrup nicht. Er lässt auf seiner Plattform Netzwirken.net verschiedene Projekte um Unternehmensspenden antreten. Wer in der angeschlossenen Community überzeugt, gewinnt. "Der gemeinnützige Bereich ist ein Milliardenmarkt, und die Szene, die da jetzt aufsteht, ist natürlich eine Konkurrenz für die etablierten Organisationen", sagt Holtrup. 3 bis 5 Milliarden Euro spenden die Deutschen pro Jahr. Mehr als die Hälfte der Summe stammt nach Zahlen des Deutschen Spendenrats von Spendern, die 60 Jahre oder älter sind. Noch können es sich etablierte Organisationen daher leisten, die junge Szene abwartend zu beobachten. Noch.
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