Kompromisslos für selbstbestimmtes Leben

Georg Feuser, der Bremer Vorkämpfer der Behindertenpädagogik, nahm am Freitag seinen Abschied von der Bremer Uni. Sein Werk ist weithin anerkannt. Sein Lehrstuhl wird wohl nicht wieder besetzt – aus Kostengründen

Für Georg Feuser „gibt es keine zweite Garnitur Gottes“, sagt ein Wegbegleiter

Bremen epd ■ Den Begriff „austherapiert“ gibt es für den Behindertenpädagogen Georg Feuser nicht. Der streitbare Bremer Professor hat über Jahrzehnte eine Therapie entwickelt, mit der nach seiner Erfahrung auch Menschen gefördert werden können, die als „nicht gemeinschaftsfähig“ gelten. Mit einer letzten Vorlesung hat sich der für „ausgezeichnete Lehre und Innovation“ preisgekrönte Wissenschaftler am Freitag aus dem Forschungsbetrieb in Bremen verabschiedet.

Für viele Studierende ist der 1941 in Stupferich bei Karlsruhe geborene Experte so etwas wie ein Papst der deutschen Behindertenpädagogik. Sein Ansatz ist radikal: Behinderte Menschen müssten mit allen Mitteln gefördert werden. Für Feuser sind es nicht zuletzt unwürdige Lebensumstände in Pflegeeinrichtungen mit schlecht ausgebildeten Betreuern, die überhaupt erst zu einem krankhaften Verhalten führen, das dann scheinbar Teil der Behinderung ist.

Dagegen stellt der ausgebildete Grund, Haupt , Real- und Sonderschullehrer eine Basistherapie, die selbst schwerstbehinderte Menschen zu einem selbstbestimmteren Leben verhelfen soll. Exemplarisch hat er das in einem Fall gezeigt, den Radio Bremen in einer dramatischen Folge seiner Serie „Unter deutschen Dächern“ vor sechs Jahren dokumentierte. „Michaelas letzte Chance“ heißt der vielsagende Titel des Filmprotokolls.

Die Aufnahmen zeigen eine 17-Jährige, die schlägt, beißt und unflätig schimpft. Mit 40 Studenten richtet Feuser eine Therapiewohnung ein, um etwas zu bewegen. Kein Aufwand ist ihm zu hoch, keine Mühe zu groß, um Menschen wie Michaela zu fördern. Noch immer kämpft der 65-Jährige gegen Aussonderung und warnt vor „psychischer Euthanasie“. Für Feuser „gibt es keine zweite Garnitur Gottes“, sagt ein Wegbegleiter.

Der Initiator eines „Bremer Memorandums zum Lebens- und Bildungsrecht für alle“ gehört zu den Pionieren, die über die Satt-und-sauber-Versorgung hinaus in Deutschland überhaupt erst Schulen für behinderte Menschen durchsetzten. Bremen war das erste Bundesland, in dem er zusammen mit der evangelischen Kirche eine gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder in Tagesstätten aufgebaut hat. Mittlerweile wird sie aus Kostengründen wieder zurückgefahren. Dass Fragen der Integration und damit der Würde behinderter Menschen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden, bringt Feuser in Rage.

Politiker halten ihm vor, seine Vorstellungen seien realitätsfern und unfinanzierbar. Doch Feuser bleibt seinen Grundsätzen treu, die wohl schon in seiner Freundschaft zum „Dorfdeppen“ in Stupferich, dem Ort seiner Kindheit, wurzeln. Feuser ist noch Gastprofessor an der Universität in Zürich. Sein Bremer Lehrstuhl für Behindertenpädagogik bei schweren Entwicklungsstörungen aber wird wohl nicht mehr besetzt. Aus Kostengründen.