Kommentar: Die Milch machts
Der Bauernverband redet die Krise der Landwirtschaft schön. Doch es regt sich was auf der Scholle: Aus der Bewegung der Milchbauern könnte echte Konkurrenz erwachsen.
D eutscher Bauerntag. Man muss das einmal erlebt haben. Alle Jahre wieder beschwört Bauernpräsident Gerd Sonnleitner eine glorreiche Entwicklung für die "viertgrößte Agrarexportnation der Welt", dann verklärt er die Landwirtschaft zur Jobmaschine, zur Zukunftsbranche, zur großen Innovationsabteilung der Republik. Er redet von fairen Preisen, gesellschaftlicher Anerkennung und neuen Perspektiven. Eine Massen- und Selbstsuggestion in brüllender Diktion mit überschlagender Stimme.
Und im Publikum sitzen Hunderte, auf den Höfen Zehntausende, mit einer 60-Stunden-Woche, die um ihre Existenz kämpfen, sich krumm und bucklig schuften und deren erzeugte Milch dabei schlechter als Mineralwasser bezahlt wird. 27 Cent je Liter betrug 2006 im Schnitt der Erzeugerpreis für die 100.000 Milchbauern. Trotzdem ist keiner da, der den Redner vom Podium zöge und ihm das Maul stopfte, was notwendig wäre, denn dieser Bauernverband vertritt alles, nur nicht die Interessen der Mehrheit der bäuerlichen Landwirtschaft.
Aber Sonnleitner findet immer einen Schuldigen dafür, dass es den Bauern so schlecht geht. Nach dem Abgang von Rot-Grün ist ihm allerdings seine Lieblingsfeindin Renate Künast abhanden gekommen. Die "zweite Bauernbefreiung", nämlich die vom Joch der Grünen, war lange sein rhetorischer Fixpunkt. Die kuriose Pointe: Jetzt müsste Sonnleitner eigentlich zugeben, dass die beiden derzeit dynamischsten Felder der deutschen Landwirtschaft mit urgrünen Themen besetzt sind. Denn nichts bewegt die deutsche Scholle und ihre Besitzer mehr als die Bioenergie und der Boom für Biolebensmittel.
Allein im Kreis Cloppenburg liegen derzeit 120 Anträge zur Genehmigung einer Biogasanlage. Mit dem Energiepotenzial aus den riesigen Misthaufen von 200 Millionen Kubikmeter Gülle und Kot, die jedes Jahr auf den Höfen anfallen, ließen sich drei weitere Atomkraftwerke einsparen. Zusätzlich wachsen auf 12 Prozent der deutschen Ackerflächen derzeit Energiepflanzen.
Die Entwicklung vom Nahrungsmittelerzeuger zum zusätzlichen Energiewirt läuft so dynamisch, dass man kaum noch zum Nachdenken kommt. Die nahe liegende Frage, ob es eigentlich sinnvoll ist, immer größere Ackerflächen zur Biodiesel- oder Bioethanol-Produktion einzusetzen, während noch immer Autos gebaut werden, die bei durchgedrücktem Gaspedal über 67 Liter Sprit verbrauchen ("Porsche Cayenne Turbo S - der Querdenker unter den Automobilen"), wird auf dem Bauerntag sicher nicht gestellt. Trotzdem: Die Energieerzeugung bietet der Landwirtschaft tatsächlich erfreuliche Perspektiven. Sie sorgt vor allem für ein neues Selbstbewusstsein der Bauern, für höhere Getreidepreise und bessere Einkommen. Und für Tage der offenen Tür, bei denen mal nicht Kälbchen Peter gestreichelt, sondern zu Leberwursthäppchen stolz die neue Biogas-Technik präsentiert wird. Die wachsende Konkurrenzsituation bei den Ackerflächen zwischen Nahrungsmittel- und Energieerzeugung wird nur langsam zum Thema. Und fast in Zeitlupe verändert sich für die Bauern das über Jahrhunderte gewachsene Selbstbild von der Speisekammer der Republik.
Beim Bioboom für Lebensmittel sah es noch im vergangenen Jahr so aus, als würde er weitgehend an der heimischen Landwirtschaft vorbeigehen. Die Auslandsimporte von Biowaren nahmen dramatisch zu, während die Zahl der deutschen Biobauern stagnierte. Die Ursache war offensichtlich: Die Förderung für Biobetriebe war zwischen 2004 und 2006 in den meisten Bundesländern zurückgenommen worden, das behinderte die Umstellung auf den Ökolandbau. Warum sollen wir in einen boomenden Markt hinein subventionieren, fragte mit treuem Dackelblick Landwirtschaftsminister Horst Seehofer. Die Antwort ist ganz einfach: weil sonst die anderen das Geschäft machen!
Die bestehenden Biobetriebe vergrößerten zwar ihre Flächen, aber es kamen kaum Bauern dazu. Jetzt hat sich die Fördersituation in mehreren Bundesländern wieder gebessert, auch wenn sie noch nicht das alte Niveau erreicht hat und schon gar nicht die Fördersummen anderer Nationen, wo die Umstellungshilfen fast doppelt so hoch sind. Litauen, Slowenien oder Österreich zahlen 300 bis 400 Euro je Hektar. Zum Vergleich: Hessen zahlt 160 Euro. Immerhin sorgt der Bioboom bei vielen Erzeugnissen, wie etwa Kartoffeln und Schweinefleisch, für steigende Preise. Teilweise konnte sich der Biomarkt sogar von der Preisentwicklung der konventionellen Landwirtschaft abkoppeln. Das liefert zusätzlich Motivation, das Umsteigen auf Bio zu riskieren. Aber ohne Förderung läuft trotzdem nichts.
Während der Bio- und Energieboom der Landwirtschaft auch öffentlich im Blickpunkt stehen, vollziehen sich andere Entwicklungen fast geräuschlos. Die neue Milchbauernbewegung und ihre aufmüpfige Selbstorganisation im Bund deutscher Milchviehhalter (BDM) hat eine erstaunliche Resonanz gefunden. Nicht nur große Demonstrationen mit zuletzt 25.000 Teilnehmern wurden organisiert. Da ist vor allem eine rasant gewachsene Mitgliedschaft von 20.000 Bauern, zu der inzwischen auch ostdeutsche Großbetriebe gehören. Und die europäische Vernetzung mit vergleichbaren Organisationen in Italien, Holland und Frankreich sorgt dafür, dass die Bauern nicht gegenseitig ausgespielt werden können.
Der große Zulauf versetzt den Bauernverband, der die Situation lange falsch eingeschätzt und den BDM belächelt hatte, spürbar in Panik. Zu Recht fürchtet man, der BDM könnte sich zu einer echten Konkurrenz entwickeln, die tatsächlich für die Interessen der Landwirtschaft kämpft. Jetzt wittern die Bauern den Erfolg dieser Ein-Punkt-Bewegung, in den Milchmarkt ist endlich Schwung gekommen.
Noch auf dem letzten Bauerntag hatten die Verbandsoberen in zynischer Arithmetik den frustrierten Milchbauern zugerufen, sie müssten halt dafür sorgen, dass sie zu den 25 Prozent der besten Betriebe in Deutschland gehören, dann hätten sie keine Probleme. Und die anderen 75 Prozent? Ach, Sonnleitner!
Unter dem Druck der Milchbauernproteste haben einige große Molkereien mit dem Lebensmittelhandel höhere Preise ausgehandelt. Doch wie viel werden sie an die Erzeuger weitergeben? Eine Preiserhöhung von 1 oder 2 Cent wird die Abwärtsspirale der letzten Jahre nicht umkehren können und die Bauern nicht befrieden. Sie wollen keine Krümel, sondern ein Stück Kuchen. Sie wollen 40 Cent.
So könnte die Bundesrepublik im Herbst womöglich den ersten großen Milchstreik ihrer Geschichte erleben. Dann werden die Bauern in ihrer Milch baden, anstatt sie weiter zu jenem Spottpreis abzuliefern, der nicht mal die Produktionskosten deckt. Ob der Bauernverband sich dann traut, als Streikbrecher offen die Interessen der Großmolkereien zu vertreten? Die Milchbauernbewegung ist jedenfalls die erfreulichste Entwicklung im Bauernland. Die Milch machts!
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