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KommentarDas Verbrechen der Soziologie

Die Ermittlungen des BKA gegen die Berliner Soziologen Andrej H. und Matthias B offenbaren eine Sphäre amorpher Angst, in die der "Krieg gegen den Terror" den liberalen Staat versetzt hat.

Terrorismus" hat zwei Gesichter. Es gibt wirkliche Bedrohungen und echte Terroristen, und dann gibt es da noch eine Sphäre namenloser Ängste, vager Verdächtigungen und irrationaler Reaktionen. In Letzterer scheint sich derzeit das deutsche Bundeskriminalamt zu bewegen: am 31. Juli durchsuchte es die Wohnräume und Arbeitsplätze von Dr. Andrej H. und Dr. Matthias B. sowie von zwei anderen Leuten, allesamt in höchst verdächtige Aktivitäten verstrickt - in das Verbrechen der Soziologie.

Dr. Andrej H. wurde festgenommen und zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen, seitdem sitzt er in einem Berliner Gefängnis in Einzelhaft und wartet auf sein Verfahren. Natürlich kann es sein, dass die Polizei über handfeste und nachvollziehbare Beweise verfügt, die sie bislang zurückhält; ihre öffentlichen Verlautbarungen dagegen deuten eher auf eine Farce hin.

Dr. B. wird vorgeworfen, er habe in seinen akademischen Veröffentlichungen "Formulierungen und Schlüsselworte" verwendet, die auch von einer militanten Gruppe benutzt würden, darunter solche Worte wie "Ungleichheit" und "Gentrifizierung". Die Polizei hält es für verdächtig, dass es zu Treffen mit deutschen Aktivisten kam, zu denen die Soziologen ihre Mobiltelefone nicht mitbrachten; die Polizei betrachtet dies als Zeichen "konspirativen Verhaltens".

Vor dreißig Jahren durchlebte Deutschland eine Konfrontation mit fraglos militanten Gruppen, und diese bleierne Erinnerung hängt der Polizei noch immer nach. Es mag auch so sein, dass es sich bei "Gentrifizierung" um ein wirklich furchtbares Wort handelt. Aber dieses Vorgehen der Polizei scheint mehr nach Guantánamo-Art zu sein, als den Gesetzen echter Geheimdienstarbeit in einer liberalen Demokratie zu folgen.

Betrachten wir den unglücklichen Dr. B. doch ein wenig näher. Ihm wird nicht vorgeworfen, irgendwelche aufrührerischen Aufrufe geschrieben zu haben; er scheint nur intellektuell in der Lage zu sein, jene einigermaßen anspruchsvollen Texte zu verfassen, die eine militante Gruppe benötigen könnte. Außerdem verfügt unser Wissenschaftler, als Angestellter an einem Forschungsinstitut, "über Zugang zu Bibliotheken, um dort die Recherchen durchzuführen, die notwendig sind, um Texte für eine militante Gruppe zu verfassen", auch wenn er keine solchen geschrieben hat. Den einzigen unerschütterlichen Tatsachenbeweis, den die Polizei gegen Dr. H. in Händen hält, ist, dass er vor Ort war, als die linksextreme Szene ihren "Widerstand gegen das Weltwirtschaftsforum 2007 in Heiligendamm" auf die Beine stellte. Vielleicht erlag er dem Irrtum, diese Szene lediglich zu studieren, statt den Protest zu orchestrieren?

Das ist kein Grund für Briten, geschweige denn für Amerikaner, jetzt in selbstgerechtem Missfallen die Stirn zu runzeln. In der langen, traurigen Geschichte der IRA sind Fantasie und Realität noch viel stärker miteinander verwoben worden. Aber abgesehen davon, dass wir hoffen, dass unser Kollege Dr. H. sobald wie möglich freigelassen wird, wenn er nur verspricht, immer und überall sein Handy mit sich zu tragen, so sind wir doch bestürzt über die Grauzonen zwischen fragilen bürgerlichen Freiheiten und den Verwirrungen staatlicher Macht, die sich in diesem Fall offenbaren.

Der liberale Staat verändert sich. In den Sechzigerjahren besaß Deutschland die aufgeklärtesten Gesetze für Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa; die USA erließen die feinfühligsten Einwanderungsgesetze in ihrer Geschichte, und Frankreich garantierte allen, die auf seinem Territorium geboren wurden, automatisch die Staatsbürgerschaft, das galt auch für alle Muslime. Heute haben alle diese Länder im Namen des "Kriegs gegen den Terror" ihre Gesetze geändert - der Ausnahmezustand setzt sich durch. Die Gesetze, die gegen echte Gefahren gedacht waren, werden nun ausgelegt, um amorphen Ängsten zu begegnen. Anstelle echter Polizeiarbeit wollen die Autoritäten der Gefahr, die sie fürchten, einen Namen geben - irgendeinen Namen. Der Ausnahmezustand untergräbt die Legitimität von Staaten. Wenn Fälle so verfolgt werden wie dieser, dann läuft eine Regierung Gefahr, ihre Autorität zu verlieren, und beraubt sich damit der Möglichkeiten, wirkungsvoll gegen echte Terroristen vorzugehen.

Sollten unsere Kollegen wirklich gefährliche Soziologen sein, dann sollten sie mit rationalen Mitteln strafrechtlich verfolgt werden. Aber, wie in Guantánamo, scheint die Verfolgung an Stelle der Strafverfolgung getreten zu sein.

Übersetzung: Daniel Bax

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3 Kommentare

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  • PG
    Peter Guhl

    Gemäss den Memoiren von Winston Churchill hätte Deutschland die Schlacht um England gewinnen können, wenn sich die damalige Führung nicht darauf verlegt hätte, statt militärischer Ziele die Zivilbevölkerung anzugreifen (also auf Terrorismus statt auf militärische Strategie zu setzen).

     

    Der Grund ist einfach. Auch der gleichgültigste Mensch wird zum erbitterten Feind, wenn man auf ihn schiesst und die Gesamtbevölkerung eines Landes ist immer wesentlich grösser als die Armee.

     

    Daraus lässt sich wohl folgern, dass die Terroristen rein mathematisch den sogenannten "Westen" schlicht nicht besiegen können, wenn nicht unsere Regierungen einknicken und ihre Machtbasis im eigenen Volk durch unverständliche Massnahmen gefährden.

     

    Terrorismus lässt sich nicht durch das Töten von Tätern ausrotten, die ohnehin sterben wollen sondern in dem man das Reservoir an Menschen austrocknet, die den Tod mehr lieben als das Leben. Wieviel müsste wohl jeder einzelne Mensch, der von den Extremistenführern als Feind deklariert wurde (also mindestens die gesamte Bevölkerung von Europa, Nordamerika und Australien, wahrscheinlich auch noch ganz Südamerika und in Asien mindestens ganz Russland) aufwerfen, um den gesamten nahen Osten und Südostasien mit Bildungsstätten und Infrastruktur auszurüsten, gegen die Zürich wie ein Kral aussieht? Wohl nur ein paar Cent. Sicher, man könnte das als Lösegeld bezeichnen, aber der weitaus grösste Teil der Bevölkerung in diesen Gebieten würde sich wohl ehrlich darüber freuen und hätte dann auch viel zuviel zu verlieren, um sich weiterhin für ein paar Versprechungen als Kanonenfutter verwenden zu lassen.

     

    Das in der Praxis ein wenig Feingefühl dazu gehören würde ist klar. Wir alle wissen wohl, wem wir das Geld *ganz sicher nicht* anvertrauen würden.

    • @Peter Guhl: Kommentar gelöscht. Bitte schreiben Sie Ihre Beiträge auf deutsch.
  • H
    Hans

    War der ursprüngliche Kommentar gestern im Guardian nicht betitelt mit: "Guantanamo in Germany"?