Kommentar: Glotzen will gelernt sein

gernsehkinder

Arme, dicke Grundschulkinder hängen zu viel vor der Glotze. Weil sich niemand um sie kümmert und fiese Eltern ihnen sogar den Fernseher ins Kinderzimmer stellen. Dieser Nachricht folgt für gewöhnlich das Urteil: Unterschichten-Eltern, kümmert euch um eure Kinder! Doch das ist eine Mahnung aus der Position intellektueller Überheblichkeit. Und sie ist verlogen.

Denn die Kinder-vor-der-Glotze-Nachricht ist auch immer wieder eines: ein Unterscheidungsmerkmal in einem sozialen Kampf zwischen oben und unten. Aus dem Spiegelbild der verwahrlosten "Generation Glotze" schließen daher viele Besserwissende: wie gut, dass mein Kind nicht fernsehen darf!

Für gewöhnlich folgt daher eine einfache Schlussfolgerung: dass die sozial ausgegrenzten Eltern mit mehr Verstand und die Schulen mit mehr Entschlossenheit die Medienkompetenz der Jüngsten im Auge haben müssten. Klaro, beides ist richtig.

Richtig ist aber auch: Dass 17,5 Prozent aller Grundschulkinder der oberen sozialen Schicht überhaupt kein kleines bisschen fernsehgucken - weil radikal-intellektuelle Eltern ihnen das Einfachsein nicht gönnen. Das ist ähnlich übel.

Keine Frage: Wenn 16,5 Prozent der Grundschulkinder von ihren Eltern eine eigene Mattscheibe ins Zimmer gestellt bekommen, dann sind auch Kitas und Schulen in der Pflicht. Doch die mühen sich längst nach Kräften, ein gesundes Maß im Umgang mit Medien zu vermitteln. Geht es nach dem Berliner Kita-Bildungsprogramm, sollen Kinder schon vor der Grundschule vermittelt bekommen, was der Unterschied zwischen Werbung und Programm im Fernsehen ist.

Doch wer nie vor der Glotze sitzt, kann diesen Unterschied nicht kennen. Deshalb lohnt es sich durchaus, mal mit dem Finger auf die anderen zu zeigen: auf jene Prosecco-Fraktion, die Benjamin Blümchen für niveaulos hält und ihre Kinder mit Bauklötzen isoliert. Das führt dazu, dass sie in der Grundschule nicht mitreden können. Und es ist schädlich, wie alles, was extrem ist. Also, Gutmenschen, schmeißt die Glotze an!

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