■ Kommentar: Sisyphusarbeit
Ditmar Staffelt wird es schwer haben. Schon ehe er wußte, daß seine eigenen Kandidaten bei der Wahl der Stellvertreter fast ausnahmslos durchfallen würden, kündigte er auf dem Parteitag ehrgeizige Ziele an: die traditionell konkurrierenden drei Säulen Partei, Fraktion und Senat zu konstruktiver Zusammenarbeit zu bringen und innerhalb der Großen Koalition die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Damit nicht genug, will er die schwer angeschlagene Berliner SPD, die 1990 als 30-Prozent-Partei ihr schlechtestes Wahlergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg einfuhr, wieder als Regierungspartei flottmachen und 1995 neue Mehrheiten anstreben. Wie dieses Kunststück gelingen soll, bleibt fraglich.
Wenn es ihm gelänge, die Partei vom Trauma des kleineren Koalitionspartners zu befreien und sie zur Meinungsführerin gegenüber der CDU zu machen, wäre das eine wichtige Voraussetzung für die neuen Mehrheiten. Doch schon dafür wird er einen Spagat üben müssen: einerseits als Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, in dessen Naturell es liegt, bei Konflikten eher zu vermitteln als offenen Streit auszutragen, und in der undankbaren Rolle des kleineren Koalitionspartners. Andererseits als Chef einer Partei, die in Teilen an der Großen Koalition leidet und sich um den eigenen Profilverlust sorgt. Mit dem Durchmarsch der Linken ist Staffelts Spielraum erheblich eingeengt, die ohnehin starke Doppelbelastung als Fraktions- und Parteichef wird zur Zerreißprobe werden.
Daß Staffelt am Samstag rasch die Freude an seinem neuen Amt verließ, war seinen Gesichtszügen anzumerken. Sein eigenes Personalpaket wurde in Stücke geschlagen, im Vorstand sitzen neben seiner Konkurrentin Monika Buttgereit drei weitere Vertreter der Parteilinken. Das Machtvakuum in der Berliner SPD nach Mompers Rücktritt ist zwar gefüllt, Staffelts Konzept auf Versöhnung der Parteiflügel, das seinem persönlichen Stil entspricht, jedoch gescheitert. Er wird zeigen müssen, wo sein politisches Profil liegt und ob er es ernst meint mit den neuen Mehrheiten. Von der Parteilinken in die Zange genommen, wird das eine wahre Sisyphusarbeit für den voraussichtlich nächsten SPD-Spitzenkandidaten. Aber laut Camus war Sisyphus ein glücklicher Mensch. Kordula Doerfler
Siehe Berichte auf den Seiten 3, 4 und 11
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