■ Kommentar: Sandkasten oder Interessenvertretung
Seit 31.10.1990 wird nicht mehr über das kommunale Wahlrecht für alle EinwanderInnen so heftig diskutiert wie früher, nachdem das Bundesverfassungsgericht entschied, den EinwanderInnen in Hamburg und Schleswig-Holstein das kommunale Wahlrecht zu nehmen. Damit wurde eine große Chance, ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit, vertan. EinwanderInnen aus Nicht-EG-Staaten werden so weiter grundlegende Bürger- und Menschenrechte vorenthalten. Die Gewährung von Rechten, die gleichberechtigte Teilhabe am politischen Leben wird noch immer an die blutsmäßige Abstammung geknüpft.
Damit gehört Deutschland unter den europäischen Staaten weiterhin zu den letzten, die den EinwanderInnen aus Nicht-EG-Staaten jegliches Wahlrecht verweigern.
Die EinwanderInnen müssen sich weiter mit den Ausländerbeauftragten, die selbst meistens Deutsche sind, den Ausländerbeiräten oder kommunalen Interessenvertretungen ohne Kompetenzen zufriedengeben. Nur die aus EG- Staaten stammenden EinwanderInnen dürfen demnächst an der kommunalen Wahl teilnehmen. Wer Döner Kebab braten und verkaufen darf, darf noch lange nicht darüber entscheiden, in welche Mülltonne er seinen Dreck werfen kann.
Den EinwanderInnen wird als einzige Möglichkeit zur konstruktiven Teilnahme an der politischen Gestaltung der Gesellschaft nur in einigen Bundesländern die Mitarbeit in einem Ausländerbeirat angeboten. In Hessen und Niedersachsen haben sie sogar auf Landesebene Interessenvertretungen. Ihre Rechte und Kompetenzen sind leider sehr gering. Die Mitglieder der Ausländerbeiräte versuchen sich in den Kommunen für ihre Belange einzusetzen, allerdings unter Rahmenbedingungen, die von deutschen Kommunalpolitikern gemacht wurden. Ohne Erfolg. Die lokalen Fürsten der CDU oder SPD sind nicht bereit zu akzeptieren, daß die EinwanderInnen in ihren „Käffern“ mitentscheiden dürfen. Aus diesem Grund bieten die Bürgermeister den Vorsitzenden der Ausländerbeiräte ihren Dienstwagen einmal im Monat, aber kein Rede- und Antragsrecht im Parlament an.
Selbst wenn das kommunale Wahlrecht für alle EinwanderInnen umgesetzt sein sollte, hielte ich jeden Einsatz für mehr Rechte solcher Interessenvertretungen dringend für sinnvoll. Wenn es heutzutage aus realistischen Gründen der einzige Weg ist, als Einwanderer/in in einem Ausländerbeirat/einer kommunalen Interessenvertretung an der Kommunalpolitik teilzunehmen, müssen wir uns für eine gesetzliche Grundlage auf Landesebene einsetzen. Sie muß Klarheit über die Aufgaben und Befugnisse schaffen. Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum kommunalen Wahlrecht muß es uns gelingen, daß die politischen Entscheidungen auf kommunaler und Landesebene vom Einvernehmen der Interessenvereinigungen der EinwanderInnen abhängig gemacht werden.
Mit einer gesetzlichen Institutionalisierung der kommunalen Interessenvertretungen auf Kommunal- und Landesebene hätten wir keine „Sandkasten“-Ausländerbeiräte, sondern kommunale Interessenvertretungen für EinwanderInnen, die diese für die aktive Gestaltung der Gesellschaft motivieren.
Dann könnte man wenigstens in Europa bei dieser Angelegenheit „Deutschland vorn!“ sagen.Ozan Ceyhun
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