Kommentar: Guter Ruf verspielt
■ Der Rechtsstaat kennt keine Kulanz
Der deutsche Rechtsstaat wird – vor allem im neuen Osten Europas – gerne als Vorbild bewundert. Ist doch in hunderten von Paragraphen bis zum „Eigentum an herrenlosen Bienenschwärmen“ (§ 961 BGB), dem „Ausschluß des Notwegerechts bei Veräußerung eines Grundstücks“ (§ 918) oder dem „Widerruf des Widerrufs einer letztwilligen Verfügung“ (§ 2257) alles aufs Genaueste geregelt. Was allerdings passiert, wenn Polizisten im Amt stehlen, ist in keinem deutschen Gesetz geregelt.
Und weil das so ist, wird der Fall von der Justiz behandelt wie jeder andere x-beliebige Diebstahl auch. Die Folge: Der Ukrainer, dem zwei Bremer Polizisten offenbar 39.000 Mark geklaut haben, wird ohne sein Geld nach Hause fahren müssen. Denn bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung der zuständigen Gerichte werden Monate, wenn nicht Jahre ins Land gehen. Und selbst dann haftet nicht der Staat. Der Bestohlene muß sich sein Vermögen von den Beamten persönlich zurückholen.
In jedem besseren Kaufhaus würde in einem solchen Fall offensichtlicher Ungerechtigkeit Kulanz geübt. Unbürokratisch bekäme der Geschädigte sein Geld erstmal als Darlehen zurück, schließlich stünde der gute Ruf des Hauses auf dem Spiel. Doch der deutsche Rechtsstaat bleibt stur. Ihm ist sein Ruf in der Ukraine scheißegal.
Dirk Asendorpf
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