Kommentar: Wo sind die Massen?
■ Arbeitslose haben beim DGB verloren
Rund 6.000 Menschen drängten sich gestern auf dem Marktplatz, schätzt die Polizei. Enthusiastische Gewerkschafter meinen, daß sie gar 12.000 Kollegen und Kolleginnen mobilisieren konnten. Sie triumphieren ob der vermeintlichen Massen, die gegen die Kürzung des Kindergelds, Lohnabstrichen im Krankheitsfall oder der Erhöhung des Rentenalters auf die Straße gingen.
Aber wo waren denn die wirklichen Massen der sozial Benachteiligten? Rund 40.000 Arbeitslose knapsen im Lande Bremen Monat für Monat herum, tausende von Sozialhilfeempfängern wissen Woche für Woche nicht, wie sie sich und ihre Familie ernähren und kleiden sollen. Kein Gewerkschafter, kein Arbeitnehmer hat sich die Mühe gemacht, die wirklich von den Sparzwängen der Bundesregierung Betroffenen zu mobilisieren. Denn auch bei den Gewerkschaften gilt: Wer nicht zwei Prozent seines Bruttolohns im Monat an die Organisation abführt, der hat ausgespielt.
Arbeitslose und Sozialhilfempfänger kapseln sich ab und empfinden persönliche Schmach. Wo sollen sie sich auch organisieren? Die sozialen Probleme sind längst individualisert, die Gesellschaft in Noch-Verdienende und Nicht-mehr-Verdienende geteilt. Gestern waren die Noch-Verdienenden zur Besitzstandswahrung auf der Straße, die für eine Demo mit mindestens 100 Mark Lohn-Abzug pro Nase zahlen konnten. Ulrike Fokken
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