piwik no script img

Kommentar "grüne FDP"Grüne: Lang lebe Westerwelle

Peter Unfried
Kommentar von Peter Unfried

Der Trumpf der Grünen ist gerade Westerwelle, der das moderne Bürgertum mit seinen Ansichten zu Bildungs- und Energiepolitik abstößt.

Bild: marco limberg

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Die Grünen haben nach der Wahl in Hessen angefangen, über "linke" Regierungsoptionen im Zeitalter nach Rot-Grün (2005 verblichen) nachzudenken. Spät. Aber immerhin. Gut so. Das Beschwören einer SPD/Grünen-Mehrheit ist ja längst nicht nur eine mathematische Bankrotterklärung. Es ist ein Bekenntnis, der Gegenwart im Fünfparteiensystem nicht ins Auge zu schauen.

Aber was muss ein halbintelligenter Mensch denken, wenn die hessischen Grünen "Sondierungsgespräche" mit den Linken aufnehmen - und gleichzeitig jede Form der Zusammenarbeit vorher ausschließen? Er muss fürchten, dass sie glauben, dass ihre Wähler von ihnen erwarten, dass sie reden, damit nichts herauskommt - während der angeblich so schreckliche Koch gemütlich weiterregiert. Dann hielten sie ihre Wähler offenbar auch für Schwätzer, die ihre Zeit gern und engagiert in ergebnislosen Arbeitskreisen verbringen.

Während hier die Mauer steht, versuchen die letzten Agitpropper anderswo den blockierten Weg nach links als einzigen darzustellen. Mit dem üblichen Angstszenario soll den Grünen auch hier Bewegung und Machtoption ausgeredet werden. Ampel? Da tut man, als sei das nicht nur Kurt Becks Minimachtstrategie - und hier ist es plötzlich egal, was Westerwelle so redet, wenn der Tag lang ist. Aber Schwarz-Grün in Hamburg? Mahnender Zeigefinger: Die Grünen müssen aufpassen weil sonst sind die Grünen ? Genau: Entweder noch marginalisierter - oder eine "grüne FDP" - und damit angeblich überflüssig.

Das stimmt für die einen; nennen wir sie Salonlinke. Andere suchen genau das: Eine regierungsbereite ökolibertäre Partei. Zum Beispiel jener Teil der postideologischen bürgerlichen Mittelschicht, der nicht im theoretischen Off beim Bioschnitzel sozialromantische Gefühle pflegen will, sondern der ökosoziallibertär zu leben versucht. Als Elternsprecher, im Beruf, auf der Straße. Diese Bürger sind lebensnahe Pragmatiker. Die wollen keine Beteiligung an moralisch einwandfreier Opposition. Die mischen selbst mit und erwarten auch von der Partei, die sie wählen, dass sie mitmischt. Diese Wähler wissen genau, wie kompliziert, frustrierend und kompromisslastig das richtige Leben ist. Aber sie wollen, dass etwas geht. Und sie erwarten, dass man nicht alle Energie darauf verschwendet, Gründe zu finden, warum etwas nicht geht. Was ist denn, wenn in Hamburg die FDP nicht in den Senat kommt und Rot-Grün wie immer keine Mehrheit hat? Soll die CDU mit der Linkspartei koalieren?

Mit anachronistischem Denken vergrault man Pragmatiker genauso wie mit machtstrategischen Spielchen oder einer SpitzenkandidatIn, die zwar patent ist, aber die intellektuellen Bedürfnisse und das zumindest gefühlte Aufbruchsmoment nicht bedienen kann. Der Trumpf der Grünen ist gerade Westerwelle, der das moderne Bürgertum mit seinen Ansichten zu Bildungs- und Energiepolitik abstößt. Die Gefahr besteht, dass die FDP ohne Westerwelle eines Tages Ernst macht und eine "grüne FDP" wird. Es würde manchem Grünen-Wähler schon genügen, wenn die FDP eines Tages eine echte FDP würde. PETER UNFRIED

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

3 Kommentare

 / 
  • J
    Jan

    Statt vor dem imaginären Augenblick zu zittern, in dem sich die FDP ein grünes Leibchen über den fetten Kapitalistenwanst zieht, sollten die Grünen einen Blick in die Schweiz riskieren und sich ein Beispiel an der Stadtzürcher Grünliberalen Partei nehmen: "Wirtschaft und Umwelt" ist dort nicht nur verblichener Titel eines TAZ-Ressorts, sondern sehr erfolgreiches Parteiprogamm.

  • S
    Stefan

    Ich kann dem Kommentar nur voll und ganz zustimmen. Spätestens der "Abgang" von Oswald Metzger bei den Grünen hat das Koordinatensystem der Partei noch mehr nach "links" verschoben. Es sollen die Steuern wieder erhöht werden und mit der prinzipiell richtigen Grundsicherung kommen auf den Staatshaushalt viele unkalkulierbare Risiken zu. "Die Grünen" haben sich nach und nach von ihrer wirtschafts- und finanzpolitischen Erfahrung der Regierungszeit "verabschiedet". Auch personell: Metzger weg, Berninger weg, Özdemir, usw. Wenn die F.D.P ihre "ökologische Inkompetenz" in einer "Post-Westerwelle" -Zeit ablegen würde , wäre sie wieder wählbar. Dann können die Grünnen ja den Wettlauf mit dem linkspopulisten Lafontaine um das bessere "Freibier für alle"- Motto aufnehmen.

  • J
    J.M.

    Die Einschätzung des Autors beruht auf dem beliebten Missverständnis, dass nur wer (mit-)regiert, etwas bewirken könne. Das Programm z.B. der CDU hat sich seit Aufkommen der Grünen deutlich in Richtung Umweltschutz verändert. Und das geschah auch vor der Regierungsbeteiligung der Grünen. Ähnlich verhält es sich mit dem Einfluss der Linken auf die anderen Parteien: Plötzlich wird der soziale Gedanke wieder entdeckt, auch wenn die Linkspartei nicht an der Regierung beteiligt wird. Manche mögen eine strategische Meinung für sinnvoll erachten. Ich ziehe die Meinung vor, die meiner Überzeugung entspricht.