Kommentar US-Soldaten: Die Flucht vor dem Krieg

Die hohe Zahl der Desertionen in der US-Armee ist erstaunlich. Und unangenehm für das Militär, denn schließlich handelt es sich um eine Berufsarmee.

Immer mehr Soldaten kehren der US-Armee vorzeitig den Rücken zu und verlassen lieber legal oder illegal die Truppe, als in den Krieg im Irak zu ziehen. Die Zahl der Fahnenflüchtigen ist, wenn man den Informationen der entsprechenden Organisationen glauben darf, mit über 10.000 Fällen seit Beginn des Irakkrieges erstaunlich hoch.

Schon seit einiger Zeit ist das Phänomen in einigen Ländern außerhalb der USA bekannt - in Kanada etwa, wo schon zu Zeiten des Vietnamkrieges etliche Deserteure Zuflucht suchten, haben sich auch in den vergangenen Jahren wieder Strukturen herausgebildet, die flüchtenden US-Soldaten Schutz anbieten. Der große Unterschied zu den Zeiten des Vietnamkrieges: Seit 1973 ist in den USA die Wehrpflicht abgeschafft, wer heute in die Armee eintritt, tut das freiwillig. Gerade deshalb sind die hohen Deserteurszahlen erstaunlich - kein Wunder, dass das US-Verteidigungsministerium nicht einmal Interesse an einer umfassenden Verfolgung hat, die womöglich ausführliche Medienberichterstattung nach sich ziehen würde. Denn wenn sich in einer Berufsarmee die Desertionen häufen, spricht das Bände darüber, wie die Kämpfer selbst die Lage vor Ort einschätzen.

Schon jetzt ist eine ganze Generation von US-Armeeangehörigen durch diesen Krieg gegangen. Zehntausende junger Männer und Frauen sind traumatisiert oder schwerstverletzt zurückgekehrt. Mit dabei sind viele, die sich von der Armee einen sicheren Job, eine Ausbildung, ein Auskommen oder endlich den Aufstieg zum vollwertigen US-Amerikaner versprochen haben. Andere wiederum haben einfach den Fehler gemacht, den Rekrutierungsteams der Armee zu glauben.

"Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" - von dem alten Spruch der pazifistischen Friedensbewegung sind die USA noch weit entfernt. Und dennoch: Die Deserteure erinnern an die einfache Wahrheit, die doch oft vergessen wird: Ohne Soldaten, die mitmachen, sind Kriege nicht führbar. Insofern sind Deserteure gefährlicher als alle Demokraten im Kongress zusammen. Ihr Schritt verdient Respekt - und Solidarität.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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