Kommentar Talent und Routine: Offene Verschaltung mit der Praxis
Im Wettbewerb laufen bereits Filme der ersten Teilnehmer: Der Berlinale Talent Campus vermittelt wieder zwischen Profis und dem Nachwuchs.
Talent trifft Routine. Auf dem Berlinale Talent Campus darf der Nachwuchs der Branche den Erfahrungsschatz der Profis anzapfen. Rund 350 angehende Regisseurinnen, Drehbuchautoren, Kamerafrauen, Schauspieler, Sound Designer und andere Filmkreative aus der ganzen Welt sind eingeladen, in Panels, Workshops oder Vorlesungen von den Etablierten ihres jeweiligen Fachs zu lernen. Nicht in grauer Theorie: handfeste Tipps, gemeinsames Feilen an konkreten Projekten und Einblicke in die Praxis soll es geben. Parallel zur Berlinale am Potsdamer Platz, aber topografisch in Laufweite davon abgegrenzt, werden die drei Häuser des Theater Hebbel am Ufer eine Woche lang zum Ort des Austausches und der Vernetzung untereinander.
Initiiert wurde der Campus 2003 von Festivalleiter Dieter Kosslick, anfangs residierte man noch im Haus der Kulturen der Welt. Wie wichtig der Campus für die Berlinale nach sechs Jahren geworden ist, kann man unter anderem daran ablesen, dass Sandrine Bonnaire, als sie am Donnerstag aus familiären Gründen ihre Teilnahme an der Internationalen Jury kurzfristig absagte, nichtsdestotrotz bekräftigte, nach Möglichkeit für ihre geplante Lecture auf dem Campus bereitstehen zu wollen.
Zudem haben in diesem Jahr zum ersten Mal gleich zwei ehemalige Campus-"Talente" den Sprung in die erste Liga geschafft: Der mexikanische Regisseur Fernando Eimbcke, Campus-Teilnehmer 2003, ist mit "Lake Tahoe" im Wettstreit um den Goldenen Bären dabei, ebenso wie der US-Filmemacher Lance Hammer (Campus 2004) mit seiner Südstaaten-Sozialstudie "Ballast". Seinen Kameramann hat Hammer übrigens über Vermittlung des Campus gefunden. Auch in anderen Sektionen sind Ergebnisse des globalen Nachwuchs-Networking zu sehen: Der isländische Regisseur, die philippinische Produzentin und der US-Hauptdarsteller des Panorama-Beitrags "The Amazing Truth about Queen Raquela" haben sich durch den Campus kennengelernt.
"Unsere Ambition ist es, den Filmemachern, die zu uns kommen, nicht nur fünf Tage Programm zu bieten, sondern ihnen tatsächlich ein Netzwerk aufzubauen, von dem sie möglicherweise sehr lange profitieren", hofft Dorothee Wenner, Campus-Leiterin seit 2006. Solche Nachhaltigkeit setzt voraus, dass die Campus-Teilnehmer ihre Entscheidung für den Filmberuf bereits fest getroffen und auch schon erste Erfahrungen gesammelt haben.
Reine Anfänger sind hier fehl am Platz, man sieht sich nicht als Ersatz zu etablierten Filmhochschulen. "Wir vertreten kein Lehrer-Schüler-Modell", betont Wenner, die das Ziel vielmehr in der Vermittlung von handwerklichem Fachwissen sieht: "Was sie euch nicht auf den Filmschulen beibringen", lautet der heimliche Titel vieler Workshops. "Wir verstehen uns als Schaltstelle zur Filmpraxis", so Wenner. "Im Unterschied zum Berlinale-Markt muss bei uns allerdings nichts verkauft werden. Ohne den großen Druck des Geldes, ohne die Konkurrenzsituation können unsere Talente bei uns Gleichgesinnte finden, oder sie erhalten zumindest die Chance zur Zusammenarbeit."
Der Campus ist keine geschlossene Veranstaltung. Viele Programmpunkte sind auch der Öffentlichkeit zugänglich. So kann man beispielsweise am 12. Februar dabeisein, wenn Ulrich Gregor und Mark LeFanu sich vom polnischen Film- und Theaterregisseur Andrzej Wajda die Produktion spezifischer filmischer Atmosphären erläutern lassen (HAU 1, ab 11 Uhr).
Am selben Tag und Ort ab 17 Uhr reflektieren Regisseure und Schauspieler über "The Dark Side of Cinema" - das Kino der extremen Gefühle und Affekte. Bereits morgen Früh um 11 Uhr treffen sich Shah Rukh Khan, Maria Schrader und Kate Henshaw-Nuttall im HAU 1, um unter dem Motto "Love International" kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Darstellung amouröser Verhältnisse zu diskutieren. Karten für diese Veranstaltung sind allerdings nicht mehr erhältlich: Dank der Teilnahme des Bollywood-Megastars waren die Tickets in weniger als einer Stunde ausverkauft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!