Kommentar Sicherheitsmängel im AKW: Das Risiko wird ausgeblendet
Anfällige Kühlanlagen, kein Schutz vor Terroranschlägen - und trotzdem wollen Union und FDP die Laufzeiten alter Meiler verlängern. Grund, gegen die Parteien zu stimmen.
Malte Kreutzfeldt ist Leiter im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz.
Wenn die Betreiber und Befürworter von Atomkraftwerken theoretisch über Gefahren reden, gibt es keine Zweifel. "Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit", heißt es stets. Und deutsche Kraftwerke gehören natürlich immer zu den sichersten.
Wenn die Probleme dann praktisch werden, sieht die Sache plötzlich ganz anders aus. Seit 23 Jahren ist bekannt, dass Dämmmaterial bei einem Unfall Siebe verstopfen und die Kühlwasserpumpen blockieren kann. Seit mehreren Jahren steht offiziell fest, dass das Problem nicht gelöst ist. Doch die Aufsichtsbehörden der Länder sitzen die Gefahr aus oder sie leugnen sie. Und die Öffentlichkeit wird mit solch beunruhigenden Nachrichten schon gar nicht behelligt.
Das ist kein Einzelfall. Die Atomdebatte dreht sich in Deutschland vor allem um Versorgungssicherheit, Kosten und das Atommüllproblem. Das alltägliche Risiko, das mit dem Betrieb von Atomkraftwerken verbunden ist, wird von allen Beteiligten verdrängt. Der Pannenreaktor in Krümmel, bei dem nach einem Trafobrand Rauchgas in die Leitwarte drang und der Druck des lebenswichtigen Kühlwassers abfiel, durfte mit Billigung des Landes Schleswig-Holstein kürzlich wieder ans Netz gehen. Dass es dort schon nach wenigen Tagen wieder zu Problemen mit falsch eingestellten Ventilen kam, lässt große Zweifel an der Zuverlässigkeit der Anlage und ihrer Betreiber aufkommen.
Auch anderswo werden Gefahren ignoriert: Dass sieben der deutschen Reaktoren noch immer nicht gegen Flugzeugabstürze oder Terrorangriffe geschützt sind, scheint niemanden zu stören. In der Asse konnten die Betreiber jahrzehntelang verklappen, was und wie sie wollten. Und das Bundesumweltministerium, das nun - spät, aber immerhin - wegen der ungelösten Kühlmittelprobleme Druck auf Länder und Betreiber ausübt, hat kürzlich die Chance verstreichen lassen, neue Sicherheitsregeln für Atomkraftwerke noch vor der Wahl verbindlich zu machen.
Das Risiko wird umso größer, je älter die Reaktoren werden. Dass Union und FDP ernsthaft darauf setzen, nach der Wahl die Laufzeiten zu verlängern, ist darum Wahnsinn. Denn wie ernst diese Parteien die damit einhergehenden Gefahren nehmen, zeigen sie derzeit in den von ihnen regierten Bundesländern. Auf der Straße wie an der Urne ist darum eine klare Antwort notwendig.
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