Kommentar Schweinegrippe: Das Fieber steigt
Die geifernde Boulevardpresse steigert die Panik um die Schweinegrippe. Wenn nicht alle impfen, so der Tenor, müssen wir wohl sterben. Ein wenig mehr Ruhe täte allen gut.
N achdem nun auch Berlin den ersten Todesfall meldet, bimmeln wieder die inneren Alarmglocken: Vielleicht doch impfen gehen? Grundsätzlich hat sich die Lage aber nicht verändert. Die zweite Welle der neuen Grippe rollt mit zuletzt 3.000 Neuerkrankungen pro Woche. Wie bekannt, zeigt das Virus eine hohe Infektiosität bei mildem Krankheitsverlauf. Dass in Einzelfällen schwere, manchmal sogar tödliche Verläufe auftreten, ist ebenfalls nicht neu.
Die Öffentlichkeit wird weiter verunsichert, zumal es jeder einzelne Todesfall als Topmeldung in die "Tagesschau" schafft. Immer schwingt hier mit: Das ist erst der Anfang, der Schnitter hat seine Sense gerade erst gewetzt. Dazu passend schlachtet Bild jedes Hüsteln in Deutschland panikstiftend aus. Am Donnerstag hieß der erste Satz der Onlineausgabe: "Tag für Tag infizieren sich Hunderte mit dem tödlichen Virus."
Mit einer geifernden Boulevardpresse, einer heillos zerstrittenen Expertenschaft und tröpfelnden Todesmeldungen wäre die Lage schon unübersichtlich genug - auch ohne die Behörden, die auf großen Mengen Stoff sitzen, der weggeimpft werden muss. Bisher läuft das ausgesprochen schleppend. Ein weiterer Toter kommt da nicht unpassend, selbst wenn man nicht unterstellt, dass er bewusst zur Mobilisierung benutzt wird.
Über die "normale" Impfung gegen die saisonale Grippe redet im Pandemiefieber kaum jemand. Dabei ist sie hochvernünftig, zumal die Zahl der Todesfälle durch saisonale Influenza in Deutschland jährlich bei 8.000 bis 11.000 Menschen liegt. Dem Horrorszenario, dass sich beide Grippeviren im "Mischgefäß Mensch" begegnen und zu einem pandemischen Monster verschmelzen - dem ist auch durch die normale saisonale Impfung zu begegnen. Dieser einfache Gedanke ist abhanden gekommen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin