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Kommentar SPDVerachtung für die eigene Basis

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die neue SPD-Riege hat es noch nicht verstanden. Ohne die Basis zu befragen, haben sie die Posten aufgeteilt. Eine Kurs-Debatte wurde nicht geführt. Wie soll die SPD da überleben?

I n der Not scheint die neue SPD-Spitze um Sigmar Gabriel und Andrea Nahles die Partei wiederzuentdecken. Die Führungsgenossen wollen demütig die Basis aufsuchen, sie versprechen mehr Demokratie, sie wollen eine offene Debatte um den Kurs der Partei wagen und die Mitglieder beteiligen. Das sind schöne, wohlgesetzte Worte - nicht mehr.

In der SPD-Führung hat sich in den letzten elf Jahren eine stillschweigende und fast ins Selbstverständliche gerutschte Haltung der Verachtung für die eigenen Basis entwickelt. Aus dem Blickwinkel der Regierungszitadelle erschien die SPD-Basis als eine lästige Traditionskompanie, die sich verstockt weigerte, die weitsichtige Agendapolitik von Steinmeier & Co zu kapieren. Schröders Basta-Stil ließ oft gerade aktive Genossen verzweifeln. Oder zur Linkspartei wechselten. So kam ein fataler Kreislauf in Gang: Die Führung entschied, die Basis zog sich enttäuscht zurück.

Die SPD hat einen furchtbaren Schlag erlitten, der ihre Existenz als Volkspartei in Frage stellt. Und was tut die Parteielite? Sie bestimmt, wie unter Schröder und Müntefering gelernt, schnell und effektiv die neue Spitze. Die Gremien stimmen unter Murren zu.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Sigmar Gabriels Basistour ist kein offenes Angebot. Es ist der holprige Versuch, eine Entscheidung, die mal wieder feststeht, absegnen zu lassen. Außerdem soll die ganze Partei nun elf Jahre Regierungszeit resümieren. Diese Debatte ist überfällig. Sie wird nicht schön werden, kaum anregend, eine ideologisierte Schlacht um die Agenda 2010.

Aber sie muss geführt werden. Und zwar ohne dass das Ergebnis schon vorher feststeht. Gabriel indes verkündet jetzt schon, dass die elf Jahre exzellent waren und die Debatte übrigens in drei Monaten beendet sein wird. Das ist Basta light. Sie haben es noch immer nicht verstanden. Sie werden es noch lernen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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4 Kommentare

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  • KE
    Kai Engel

    Wo ist hier das Problem? Der Vorstand unterbreitet einen Vorschlag über den auf dem Parteitag abgestimmt wird, wo dann ganz sicher auch Vertretr der sogenannten "Basis" zu Wort kommen werden.

    Soll im Vorfeld eine Vorschlagstour durch jeden Ortsverein durchgeführt werden und um Vorschläge gebeten werden. Dann kommen wir im Jahre 2010 zu dem Ergebnis das 37 Leute für den Parteivorsitz vorgeschlagen sind. Was für ein Quatsch. Es läuft in keiner Partei anders, aber seit Jahren schon muss einfach alles in der SPD als Querele hochgepusht und ins Lächerliche gezogen werden. Schlimme Entwicklung!

  • LG
    Lothar Georg Kopp

    Zutreffend beurteilt. Grund genug, sich vor diesem Lernprozess innerhalb der SPD zu fürchten? Ich finde es auch nicht gerade selbstkritisch reflektiert, dass die taz-Redakteursriege, die sich neulich als SPD-WählerInnen outete, es vor wenigen Tagen doch selbst nicht kapierten, für wen sie da voteten. Sie gaben denen ihre Stimme, die ihre eigene Klientel verachtet. Das ist nicht marxistisch, sondern masochistisch.

    Und bei den ganz Linken ist es leider noch schlimmer. Da arbeitet eine Buchhalterin hauptberuflich bei der LINKEN in Berlin und nebenberuflich für einen Fimenchef, zufällig der eigene Sohn, der seinen LKW-Fahrern satten Lohn schuldet. Linkssein ist toll? Dass nun schwarz-gelb kommt hat vielleicht auch solche Gründe.

  • A
    Andreas

    Tatsächlich ist so eine Basistour 2009 ganz schön nah an den Mitgliedern, weil die sich in großer Zahl verdrückt haben. Im Grunde genommen könnte Gabriel mit sehr vielen seiner Restgenossen kommunizieren, aber ob er das wirklich will?

    Ich frage mich auch, was Olaf Scholz eigentlich zu sagen hat, er war doch vier Jahre Arbeitsminister - hätte sehr viele Änderungen an Hartz-IV machen können?

    Die SPD hat intern schon lange ein Problem und zwar eines zwischen den passiven Mitgliedern und den Funktionären, die auf Landes- und Bundesparteitagen die echten Entscheidungen treffen. In Hamburg haben alle Abgeordneten für Hartz-IV gestimmt und auf dem Bundesparteitag einige aus HH dagegen? Wie ist das denn zu erklären?

    Das sind wohl auch Gründe, warum viele Mitglieder ihren Frust nicht intern kommunizieren konnten, da haben sie dann lieber das Weite gesucht.

    Und die SPD ist - trotz ihrer gänzlich anderen Tradition - auch in die Falle der PR- und Eventagenturen gegangen: Diese Partei braucht für die Kommunikation und für große Veranstaltungen inzwischen externe Profis.

    Alleine der Vorwärts ist eine der schlechtesten Publikationen in ganz Deutschland. Fast keine neuen Informationen, alles was da drinnen steht, gefällt dem jeweiligen Chef. In Hessen-Süd las sich der Vorwärts in zwei Richtungen: Auf der einen Seite Hurra - Hartz-IV, Schröder und Clement, dann auf der Hessen-Süd Seite: Da sind wir dagegen - Hartz-IV ist falsch. Nun ist das vielleicht noch ein Beispiel für eine ausgewogene Mischung, aber der Vorwärts liesse sich selbst mit Geldgeschenken nicht an normale Menschen bringen.

    Dabei hat die SPD eine eigene Medien-Holding und verdient, mischt mit, sitzt dick drinnen im Journalismus.

    Ich glaube, dass die SPD sich ihrer Tradition, unabhängige Organisationseinheiten und unabhängige Diskussionszirkel zu besitzen, wieder besinnen muss. Das war mal ihre große Stärke, aber die stetigen Basta und Nerv-Aktionen von Schröder haben dies wirklich gänzlich vernichtet und angegriffen. Wer will heute freiwillig zu einem SPD-Ortsverein in den lokalen Krug oder zu einer Diskussion im Kreis aufbrechen?

    In Hamburg bieten die meisten Abgeordneten und SPD-Politiker schon gar keine inhaltlichen Veranstaltungen mehr an. Auch inhaltliche Angebote an Genossen kommen eher von der Ebert-Stiftung und richten sich gezielt an Mandatsträger.

    Vielleicht ist das auch nur der normale Gang der Dinge, wenn eine Partei schrumpft, wenn sie ihr Kernprofil verloren hat und sich nicht mehr in neue Bahnen entwickeln kann. In Berlin haben sie leider immer genug Geld, um mit PR-Beratern und allerlei anderen Psyeudo-Profis die Dinge so zu verbiegen, dass die Führung zufrieden ist, auch wenn die Ergebnisse sich eben gar nicht einstellen.

    Ich habe sehr begrenzten Optimismus, dass sich die SPD wieder reorganisiert, dass sie wieder eine eigene Diskussionskultur und politische Bildungskultur entwickeln kann. Schon alleine, weil die Experten heute Geld kosten und in 85 Prozent aller Fälle gar nicht mit der SPD zu tun haben. Das war früher sehr viel einfacher und anders.

  • M
    Marie

    Hm, Herr Reinecke, verstanden haben sie es noch nicht. Ich gehe allerdings davon aus, dass sie alle, wie sie auch heißen, Gabriel, Nahles, Pronold, Steinmeier, Kraft, Schwesig usw, erst anfangen zu lernen, wenn die SPD 2013 das bayerische Bundestagswahlergebnis von 16,8 % erreicht hat. Die sind alle in einem mir unerklärlichen Realitätsverlust gefangen und leiern alles nur in der gleichen Verdreh- und Verschleierungssprache runter. Lernen? Nehmen wir zum Beispiel den fälschlicherweise als 'Linken' titulierten Herrn Pronold und die Rente mit 67. Nachdem er im Bundestag (s. abgeordnetenwatch.de) natürlich zugestimmt hat, stellte er die Rente mit 67 kurz vor der Wahl in Frage. Aktuell ist er da - nach der Wahl- gar nicht mehr so klar.Wie die BundesSPD an den 16,8 %, arbeitet die BayernSPD an den 15 %. Abwärts gehts immer noch.