Kommentar Religionsunterricht: In dubio Pro Reli

In Berlin streitet die Bürgerinitiative Pro Reli für einen regulären Religionsunterricht. Er soll als gleichberechtigte Alternative zum Pflichtfach "Ethik" angeboten werden.

Mein Religionslehrer in der Mittelstufe hieß Herr Sommer, schnell tauften wir ihn in Dr. Sommer um. So wie den Psycho-Berater, der in der Bravo Tipps zu Beziehungs- und Sexproblemen gab, füllte auch unser Dr. Sommer mit diesen Themen ganze Doppelstunden. Ist Sex vor der Ehe erlaubt? Was hat die katholische Kirche gegen Verhütungsmittel? So lernten wir im Religionsunterricht den Coitus interruptus kennen und wurden auch über andere Verhütungsmethoden samt ihren Vorteilen und Risiken ins Bild gesetzt.

So viel zur Behauptung, der konfessionelle Religionsunterricht sei "rückständig". Dahinter steht die Befürchtung, Religion als Lehrfach sei mit der Zwangsmissionierung unschuldiger Kinder mit Feuer und Schwert gleichzusetzen. Doch Schülerinnen und Schüler der Klassen 7 bis 10 sind ein anspruchsvolles Publikum. Sie lassen sich nicht mit Rosenkränzen und Katechismusformeln abspeisen, schon gar nicht zu irgendeinem Glauben zwingen. Sie könnten aber sehr wohl ein Interesse daran haben, etwas von diesem Jesus Christus zu erfahren, in dessen Kirchen noch immer zwei von drei Deutschen organisiert sind.

Eine Mehrheit des Berliner Abgeordnetenhauses verteidigt dagegen einen konfessionsungebundenen Ethikunterricht. Jeder Schüler könne sich ja weiterhin für das Schulfach Religion entscheiden, heißt es dazu. Die Wirklichkeit in den Schulen sieht anders aus. Ethik ist Wahlpflichtfach, Religion freiwillig, fällt also angesichts dicht gedrängter Stundenpläne schnell unter den Tisch. Die Zahl der Schüler im evangelischen Religionsunterricht ging in den letzten zwei Jahren denn auch um 6.000 zurück.

Ziel der Initiative Pro Reli ist es dagegen nicht, den Ethik- durch Religionsunterricht zu verdrängen. Sollte ihr Volksentscheid Erfolg haben, dann würde es im Paragraf 13 des Berliner Schulgesetzes künftig heißen: "Alle Schülerinnen und Schüler nehmen entweder am Religions- oder am Ethikunterricht teil. Dabei soll zwischen den Fächern kooperiert werden. Einzelne Unterrichtseinheiten können gemeinsam durchgeführt werden." Wenn das Fach Ethik so zukunftsweisend sein soll, wie seine Befürworter meinen: Warum halten sie dann an ihrem Privileg fest, statt auf Augenhöhe mit dem Religionsunterricht in einen Wettstreit um die besseren Inhalte zu treten?

Die Befürworter des Ethikunterrichts weisen auf dessen "integrative Wirkung" hin. Integrieren lassen sich aber nur Standpunkte. In einer von Religionen und Konfessionen geprägten Welt ist eine aus Kant, Karl Marx, Dalai Lama und Jesus Christus zusammengebraute Ethik ein reines Gedankenkonstrukt. Deshalb müssen die Unterrichtsinhalte viel subjektiver ausfallen, als es die Vermittlung einer einzelnen Religion jemals sein könnte. Kurzum: Wer in unserem Kulturkreis lebt und nichts von Jesus Christus weiß, hat zwar jedes Recht dazu, er kann aber nicht sinnvoll den Dialog mit den Anhängern des Propheten Mohammed suchen.

Die gemeinsamen Wurzeln der abrahamitischen Religionen bieten den besten Halt für den interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen. Gerade erst hat die Islamkonferenz der Bundesregierung den Anstoß für einen Islamunterricht durch in Deutschland ausgebildete Lehrer gegeben. Wenn sie konsequent sein wollen, müssten Befürworter des Ethikunterrichts dieses Angebot wieder zurückziehen. Doch vom Fach Ethik lassen sich überzeugte Muslime sicher ebenso wenig aus ihren Hinterhofmoscheen locken wie vom evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Besonders bizarr mutet es an, das Christentum in dem Moment aus den Klassenzimmern zu verdrängen, da Muslime vor einem Berliner Verwaltungsgericht das Recht auf einen eigenen Gebetsraum in ihrer Schule erstritten haben.

Der Versuch von Berliner SPD und Linkspartei, die Religion aus den Schulen zu verdrängen, mutet an wie ein Kulturkampf gegen einen imaginären Gegner. Der Kampf gegen eine Religion, die ihre Gebote an die Stelle staatlicher Gesetze setzt, ist - jedenfalls was das Christentum angeht - seit dem Siegeszug der Aufklärung gewonnen. Eine politisch längst nicht mehr dominante Bewegung aber aus ihrer gesellschaftlichen Verankerung reißen zu wollen, trägt selbstzerstörerische Züge. Unsere Demokratie beruht auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann. Ein Land, in dem die Bindungskräfte schwinden, braucht umso dringender Organisationen, die auf Zusammenhalt aus sind. Kirchliche Kitas und Altenheime, Krankenhäuser und Hilfswerke sind weit über religiöse Kreise hinaus geachtet und anerkannt.

Sicher, die christlichen Kirchen haben historische Schuld auf sich geladen. Auch heute sind sie nicht frei von Skandalen. Nicht alles, was der Papst sagt, erfreut das Publikum - übrigens auch manch gläubige Katholiken nicht. Aber wie Johannes Paul II. ist auch Benedikt XVI. eine der letzten moralischen Autoritäten auf diesem Planeten. Gemeinsam haben die christlichen Kirchen für ein humaneres Zuwanderungsgesetz gekämpft und besonders den Innenpolitikern der C-Parteien Zugeständnisse abgetrotzt. Aus der evangelischen Kirche kam der Anstoß zur friedlichen Revolution in der DDR. Und kaum eine Institution hat so deutlich ihre Stimme gegen den Irakkrieg erhoben wie die katholische Kirche. In einer Zeit massiver Wirtschaftsinteressen und ungehemmter Kapitalflüsse halten die christlichen Konfessionen den Gedanken hoch, dass viel Geld und ungehemmter Konsum nicht alles sind im Leben.

Die Initiative Pro Ethik weist gern darauf hin, dass der konfessionelle Religionsunterricht nicht in eine säkulare Stadt wie Berlin passe. Abgesehen davon, dass die Säkularismusthese zumindest für die hier lebenden Muslime nicht gilt: Das Argument ist ein Zirkelschluss. Genauso gut könnte man daraus ableiten, die noch vorhandenen religiösen Wurzeln zu pflegen. Es darf auch nicht ganz außen vor bleiben, dass im Osten der Stadt Religion bis zur Wende unterdrückt wurde. Aus diesen Grundrechtsverletzungen eine Westausdehnung humanistischer Lebensanschauung zu legitimieren ist zumindest gewagt.

Bleibt der Einwand, dass Pro Reli doch wieder nur ein Wahlkampftrick der doofen Hauptstadt-CDU ist. Es greift aber zu kurz, den Streit nur als Parteiengezänk zu betrachten. In der SPD schütteln so manche wie Wolfgang Thierse oder Richard Schröder den Kopf über die Rambo-Strategie des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit, und auch so manche Grüne unterstützen Pro Reli. Das Thema ist zu wichtig, um es allein der örtlichen CDU in Berlin zu überlassen.

Menschen, die religiös-musikalisch sind, mögen im Religionsunterricht in ihrem Glauben an ihren Gott bestärkt werden, der ihr Leben begleitet. Aber auch für überzeugte Gegner des Christentums bilden Grundkenntnisse in Religion geradezu die Basis für ihre Weltanschauung. Man sollte den Gott schon kennen, den man bekämpft.

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