Kommentar Rechtspartei: Schwarzes Loch rechts außen
"Das wird man ja wohl sagen dürfen" – Bild geriert sich als Kämpferin für Meinungsfreiheit. Und testet aus, ob die Zeit reif ist für eine chauvinistische Partei jenseits der CDU.
W as wir gegenwärtig in der öffentlichen Debatte erleben, ist ein diskursiver Dammbruch. Ganz egal, ob es tatsächlich zu einer neuen Rechtspartei kommen wird, potentiell und mental ist diese Rechtskonstellation schon vorhanden. Dass jeder Fünfte heute eine Sarrazin-Partei wählen würde, hat die politische Landschaft bereits jetzt massiv verändert. Das Vakuum auf der Rechten wirkt anziehend wie ein schwarzes Loch auf die Parteien und verschiebt ihre Positionen sukzessive nach rechts.
Wie dies geschieht, konnten wir in den letzten Tagen erleben - von der heißgestrickten, rechtlich höchst zweifelhaften Neuregelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung über das Umfallen Angela Merkels gegenüber der Atomlobby bis zu den hektischen Integrationsvorschlägen durch Sanktionsverschärfungen.
Der Boulevard greift an
Albrecht von Lucke, geb. 1967, Jurist und Politikwissenschaftler, ist Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik".
Was sich, ausgelöst durch den Fall Sarrazin, derzeit auftut, ist eine neue virtuelle Sammlungsbewegung parteiübergreifender Art, die Mitglieder aller Parteien erfasst. In besonderem Maße sind die beiden Volksparteien von diesem Sog nach rechts betroffen, aber nicht minder, wen wunderts, auch die Linkspartei, deren Klientel schon immer rechtspopulistischen Tönen gegenüber empfänglich war. Und mit der Bild-Zeitung hat diese angeblich "schweigende Mehrheit" gegen die "abgehobenen Parteien" ihr Sprachrohr gefunden. Tatsächlich war der "Fall Sarrazin" von Anfang an auch ein "Fall Bild".
Eine Woche lang, mit täglich einer ganzen Seite, machte sich Bild Sarrazins Positionen zu eigen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Verhältnis von Medium und Autor ganz gezielt umgedreht wurde. Nicht Bild war primär Medium für Sarrazin, sondern Sarrazin wurde zum Medium für Bild, um mit seiner Hilfe endlich mal all das rauszulassen, was man sich selbst - bisher - nicht zu sagen traute. Und um mit Sarrazin als Testballon auszuprobieren, was in diesem Lande alles möglich ist.
"Das wird man ja wohl noch sagen können", lautete am vergangenen Samstag der ganzseitige Aufmacher. Und was man von nun an wird sagen können - und offenbar auch sagen will, folgte gleich darunter: "Kinderschänder gehören für immer weggesperrt"; "Ausländer, die sich nicht an unsere Gesetze halten, haben hier nichts zu suchen"; "Auf den Schulhöfen muss Deutsch gesprochen werden"; "Nicht wir müssen uns den Ausländern anpassen, sondern sie sich uns!" und so weiter, und so weiter. An diesen Ton werden wir uns von nun an gewöhnen müssen. Denn all das wird legitimiert durch den selbsterklärten Anspruch der Bild-Zeitung, die Stimme "des Volkes" zu sein.
"Junge Freiheit" ist überrascht
Allerdings steckte hinter der Sarrazin-Offensive von Anfang ein weitergehendes Kalkül. Bereits Ende Juli stellte Michael Backhaus, Chefredakteur der Bild am Sonntag, in einem Leitkommentar fest: "Die Union von Angela Merkel und Horst Seehofer lässt reichlich Raum für eine neue konservative Kraft. Was CDU, CSU und auch die FDP an Wählerpotenzial verspielt haben, reicht locker aus, um zwei Parteien über fünf Prozent zu bringen." Und zum Abschluss seines Artikels zog der BamS-Chef süffisant blank: "Und was ist, wenn Friedrich Merz im CDU-Trümmerland NRW einen eigenen Verein aufmacht, unterstützt von Wolfgang Clement? Dann wäre schnell Feuer unter dem Dach der Union!"
Massiver Druck von ganz weit rechts - das war ganz offensichtlich bereits da das eigentliche Anliegen der Bild-Zeitung. Was selbst die Junge Freiheit überrumpelte: "Dieses Potential existiert seit Jahren. Dass das ganze aber thematisiert und nicht totgeschwiegen wird - das ist schon überraschend."
Und wie schnell dieser Druck verfängt, haben wir in den letzten Tagen erlebt. Bild treibt die Parteien erfolgreich vor sich her, da diese weder willens noch in der Lage sind, selbst eine klare Position einzunehmen oder gar zu verteidigen.
Dieses politische Kesseltreiben wird nun munter weitergehen, da mit Sarrazin als "Märtyrer der Meinungsfreiheit" genau jenes noch fehlende missing link gefunden ist, um weit mehr als den ganz rechten Rand anzusprechen - und damit massiv Stimmung gegen eine moderate Integrationspolitik zu machen. Mit Sarrazins Kampf gegen die "Schauprozesse" von SPD und Bundespräsident sind die Themen der nächsten Monate bereits gesetzt. Die Bild-Protestbriefkampagne folgte auf den Fuß. "APO kann die andere Seite auch", jubiliert denn auch bereits Springers Welt.
Kabinett des Schreckens
Problemlos könnte man jedoch noch einen Schritt weiter gehen und als verschärfte Drohkulisse eine virtuelle Bundesregierung aus den rechten Bild-Lieblingen basteln: mit Finanzminister Merz für die versprochene Minimalsteuer und als Wirtschaftsminister Bild-Kolumnist Clement. Dazu für "null Toleranz" einen Innenminister Roland Koch, der bereits an den Druckfahnen seines neuen Buches sitzt. Fehlt nur noch Alice Schwarzer, die derzeit für Bild im Fall Kachelmann berichtet und nebenbei noch ihre neueste Philippika gegen das Kopftuch als Kriegsflagge des Islam fertigstellt - alsbald exklusiv in Bild. Und all das flankiert von Bildungs- und Desintegrationsminister Sarrazin.
Seit Franz Josef Strauß war es stets oberstes Prinzip der Union, ein nennenswertes Potential rechts von ihr zu verhindern. Das ist gescheitert und wird auf keinen Fall ohne Wirkung bleiben. Da insbesondere die Volksparteien kaum in der Lage sind, wirksame programmatische Gegendiskurse zu inszenieren, stehen sie den periodischen Aufwallungen von "Volkes Willen" durch den Boulevard hilflos gegenüber.
Und so sehr auch der Innenminister derzeit versucht, die Wogen in der Migrationsdebatte zu glätten, es ist nur eine Frage der Zeit, wann der erste Politiker auf den rechtspopulistischen Zug aufspringen wird. Längst schielen besonders jene auf die heimatlosen zwanzig Prozent am rechten Rand, die ihrerseits in der Krise sind. Warum hört man eigentlich so wenig Protest gegen Sarrazins Thesen aus Bayern? Warten wir's ab. Und machen wir uns derweil auf einiges gefasst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin