Kommentar Proteste in Bangkok: Feudalsystem ist angezählt
Die Vergessenen Thailands gehen wieder auf die Straße. Regierung und Militär werden ihr feudales System nicht vor ihnen retten können.
D ie neuen Massenproteste der sogenannten "Rothemden" zeigen: Nicht nur, aber vor allem die einfachen Bevölkerungsschichten machen wieder mobil - die Reisbauern aus dem armen Norden und Nordosten, kleine Arbeiter, kurz: die Vergessenen in der thailändischen Gesellschaft. Jahrzehntelang waren sie von fast allen politischen Parteien sträflich vernachlässigt worden. Dabei stellt vor allem die Landbevölkerung in den nördlichen Provinzen den Löwenanteil der Wählerschaft.
Dann aber kam der Selfmademillionär Thaksin Shinawatra und machte sich diese Ungerechtigkeit zunutze. Seine Regierungszeit von Anfang 2001 bis zu seinem Sturz durch das Militär im September 2006 war enorm zweischneidig: Korruption, Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen gingen einher mit einer Politik, welche die Dorfgemeinschaften im Norden und Nordosten unterstützte. Unter anderem ließ Thaksin dort Wasser- und Stromleitungen legen und führte eine kostengünstige Krankenversorgung ein.
Nicola Glass ist Thailandkorrespondentin der taz.
Seit seinem Amtsantritt werden sich die Armen ihrer politischen Macht bewusst. Sie haben zum ersten Mal in Thailands Geschichte eine Stimme - sehr zum Missfallen der alten konservativen Ober- und Mittelschicht. Denn der Reichtum der alteingesessenen Kreise aus Militärs, Bürokraten und des Bangkoker Geldadels beruht wesentlich auf Vetternwirtschaft und auf der Ausbeutung der Armen. Und weil die Angehörigen des konservativen Establishments um ihre Privilegien fürchten müssen, behaupten sie stets: Die Armen sind käuflich und zudem zu dumm, um wählen zu dürfen. Letztere fühlen sich dadurch sichtlich gedemütigt und fordern laut: "Eine Stimme für jeden Wähler". Das feudale System in Thailand ist angezählt. Das wird keine Regierung und auch kein Militär vergessen machen können.
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