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Kommentar PharmaspionStinksauer reicht nicht

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Die diversen sauren Minister sollen lieber ihre Läden im Griff haben. Hinterher ein bisschen rumzupoltern lenkt nur vom eigenen Versagen ab.

Ist sauer: Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Bild: dapd

W arum, fragt man sich bei der Nachricht vom Berliner Ministeriums-Maulwurf, warum schleust die Apothekerlobby aufwändig jemanden ins Gesundheitsministerium ein? Hätte es beim FDP-geführten Haus nicht auch ein einfacher Anruf getan?

Man könnte über dieses Bonmot lachen, würde der Vorwurf nicht so schwer wiegen. Die Apothekenlobby soll einen Datendieb im Gesundheitsministerium platziert haben, der für die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände geheime Unterlagen beschafft hat. Wann immer es in den letzten beiden Jahren um Interessen der Pharmaindustrie ging, wussten die Apotheker schon längst Bescheid.

Nun kam heraus: Das Informationsleck klaffte im eigenen Haus, der Systemadministrator des Ministeriums hatte Unterlagen und Mails gegen ein Handgeld verkauft.

Bild: Archiv
Anja Maier

geboren 1965, ist Parlamentskorrespondentin der taz.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr sagt nun, er sei „stinksauer“. Das Ausspähen seiner Behörde sei „eine große Sauerei“. Sich „Stinksauer“, mitunter auch „stocksauer“ zu geben, ist eine neue Mode unter Politikern, die ihren Laden nicht im Griff haben.

Als Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck im Mai einräumte, dass der Eröffnungstermin des Flughafens Schönefeld nicht zu halten ist, war er „stinksauer“. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) war im Oktober „stocksauer“, weil ein Gericht die Hamburger Elbvertiefung gestoppt hatte.

Nun also auch Daniel Bahr. Die Wortwahl wirkt sympathisch – auch ein Minister ist nur ein Mensch, soll sie signalisieren. Zugleich aber lenkt sie allzu leicht ab vom Versagen des Chefs. Ob Bahr es sich in dieser Verteidigungsstellung gemütlich machen kann, wird man noch sehen.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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7 Kommentare

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  • JH
    Jürgen Hörth

    Natürlich ist er "stinksauer".

    Aber nicht nur er.

    Ich kann mir nicht vorstellen das meine Mitbürger nicht auch die "Schnauze voll" haben und stinksauer sind über diese neue Stilblüte des Lobbyismus.

    Damit muss Schluss sein.

    Statt geschäftlichen Interresse Haus und Hof zu öffnen,

    sollten unserer Parlamentaierer per dekret dazu verpflichtet werden, sich täglich mit Menschen aus dem Volk zu unterhalten und nicht it Vertretern der sogenannten Wirtschaft.

    Politik muss Augen und Ohren für die Sorgen und Nöte der Bürger haben.

    In Deutzschland leider kplt. Fehlanzeige.

    Frohe Weihnachten

  • N
    Normalo

    anke hat Recht, Frau Maier. Sie überstrapazieren das Konzept der "politischen Verantwortung".

     

    Es ist ja immer nett, wenn man so ein simples Axiom hat, auf dem man seine Politwelt aufbauen kann, egal wie fiktional es eigentlich ist - wie zum Beispiel der universelle Rückschluss auf ein Versagen des Chefs, wenn im Ressort was schiefgeht. Aber Tatsache ist doch: Wenn irgendein Interessenträger sich in die Rechner der taz hacken und Ihnen beim Fabulieren auf die Finger schielen würde, gäbe es doch NICHTS, was Ines Pohl tun könnte, um das zu verhindern, oder? Sie ist halt keine Computerspezialistin. Sie hat dafür jemanden beschäftigt, und wenn der es auch nicht verhindern kann, kann sie deshalb noch lange nicht wissen, wie man es besser machen könnte bzw. MÜSSTE(!!!). Genausowenig ist es Daniel Bahrs Job, die von Experten durchgeführte Sicherheitsüberprüfung eines langjährigen Dienstleisters selbst nochmal zu machen, um damit "seinen Laden im Griff" zu halten.

     

    Also was soll der Quatsch? Es sind aus der Luft gegriffene Erwartungsaufblähungen wie diese, die umgekehrt zu Erkenntnissen wie dem von Müntefering zum Thema Wahlversprechen führen. Wenn Sie an Politiker Ansprüche stellen, die kein realer Mensch erfüllen kann, dürfen Sie sich auch nicht wundern, wenn die Politiker dann Ihnen und der übrigen Öffentlichkeit gegenüber mit der Realität geizen.

  • P
    Peter

    Organisationsverschulden, im Bundestag?

    In jeder größeren Firma ist ein Datenschutzbeauftragter. Dieser stand/steht mit einem Bein immer im Gefängnis.

    Wer überwacht und berät die Bundesregierung in Fragen der Personalien und Dienstleister?

    Soweit bekannt das BKA und erst recht der MAD. Deren Historie wird seit einiger Zeit aufgearbeitet.

    Jeder externe Facharbeiter der kleine Servicetätigkeiten in staatlichen Sicherheitsbereichen durchführen soll, wird monatelang komplett ein paar Generationen zurück durchleuchtet und erhält dann eine Unbedenklichkeitsstufe X.

    Wie können solche Fehler wie die aktuellen entstehen?

    Können sich Politiker auf die entwickelten deutschen Sicherheitsinhalte nicht mehr verlassen?

     

    Siemens hat auf der CEBIT 2001/2002 ein abhörsicheres Handy vorgestellt. Und wo ist es?

     

    Ein Orakel wie igittigitt-Bierdeckel oder andere Telefongeräte mit nettem Schnick-Schnack, sind das Einfallstor hoch 10. Aber nicht nur diese Geräte. Auch WLAN und andere Funkgeräte sind unsicher.

    Die täglichen Updates der vernetzten Welt zeigen eines ganz deutlich. Fachlich inhaltlich überblickt das kein Fachmann alleine. Nicht einmal die Besten der Besten die für ihre Spezialisierung einen Tunnelblick haben müssen.

    Das gesamte Sicherheitskonzept der EU sollte überdacht werden. Die Bertelsmann/Arvato/Maut etc. gedachten Inhalte entwickeln sich zum Gau. Vor allem wenn an das Militär gedacht wird. Bundeswehr und MS, schlimm.

    Peter Schaar war bisher das Feigenblatt der Lobby.

  • A
    anke

    Wissen Sie, Frau Maier, was mich so richtig wütend macht, stink- und meinetwegen auch stocksauer? Das ist die dämliche Angewohnheit mancher Leute, die Luft, die auch ich zwangsläufig atmen muss, mit Floskeln zu verseuchen. Zum Beispiel mit der, die vom Politiker handelt, der seinen "Laden nicht im Griff" hat. Aus mir unerfindlichen Gründen taucht nämlich jedesmal, wenn ich so etwas höre oder lese, dieses Schwarzweißbild in meinem Kopf auf. Es zeigt einen Oberstudienrat, der den Stock seit ein paar Jahren nicht mehr selber schwingen darf, und der deswegen diese Art der Züchtigung von den Vätern seiner Schüler einfordert, weil er selber regelmäßig versagt als Pädagoge. Vielleicht bin ja auch ich all zu leicht erregbar. Vielleicht geht ja einfach meine Fantasie mit mir durch. Aber mal ganz ehrlich: Wenn ich der Ansicht wäre, jeder von uns sei ganz allein für die Lösung seiner (wutverursachenden) Probleme verantwortlich, bräuchte ich nicht Zeitung zu lesen. Schon gar nicht die taz. Dann könnte ich einfach FDP wählen, mich anschließend zurücklehnen und das nachfolgende Schauspiel in aller Ruhe beobachten.

  • Z
    zellerf

    Der Minister ist stinksauer, weil nur einer verdient hat und nicht wie sonst üblich die ganze Partei durch Parteispenden.

  • F
    F.Utterneid

    Der Grund für die Wut - nun, das sollte man genauer betrachten.

     

    Könnte es nicht sein, daß Herr Bahr nur deshalb stinksauer ist, weil die Kohle, die der Informant von den Lobbyisten bekam, doch gemäß der Parteitradition alleine der FDP gehört?

     

    Sie macht ja nichts anderes,aber bisher hatte sie dabei allenfalls Konkurrenz von der Union.

  • IS
    irgendein Schreiber

    Ein interessanter Kommentar, der meines Erachtens leider einige bereits bekannte Informationen unberücksichtigt lässt und deshalb zu einem - vielleicht noch - falschen Fazit führt.

    Zum einen arbeitet der involvierte Misteriumsmitarbeiter seit 2008 im Gesundheitsministerium (SPD-geführt; Ulla Schmidt)und hat seit dem die höchste Sicherheitseinstufung.

    Zum zweiten scheint der Name in interessierten Kreisen bereits bekannt. Aber, wie die DAZ heute schreibt, verbiete sich aus Gründen der journalistischen Sorgfaltspflicht und des Persönlichkeitsschutzes daher derzeit noch eine Veröffentlichung des Namens, der erheblichen politischen Sprengstoff in sich berge.

    Und drittens frage ich mich, wo Bahr Organisationsversagen ("die ihren Laden nicht in Griff haben") vorgeworfen werden kann. Mit genug krimineller Energie und nur einem kompetenten aber auch korrupten Mitarbeiter mit bestandener Sicherheitsüberprüfung (und die macht nicht der Minister oder das Ministerium), kann jede Behörde ausspioniert werden. Egal, wie "sicher" sie angeblich sein soll! Bei aller berechtigten Kritik an seiner Politik: Ihm schon jetzt zu Beginn des Skandals in dieser Form ein Versagen zuzuordnen, ist gelinde gesagt sehr gewagt!