Kommentar Pendlerpauschale: Zurück in die Bonner Republik
Bei der Pendlerpauschale geht es vor allem um ein spezifisches Staatsverständnis. Sie bringt dem pendelnden Großverdiener eine höhere Steuerersparnis als dem Niedriglöhner.
E s ist ein Stück alte Bundesrepublik, das hier verhandelt wird - sowohl gestern vor dem Bundesverfassungsgericht als auch am Sonntag in zwei Wochen bei der Landtagswahl in Bayern. Steht die Pendlerpauschale zur Disposition, dann geht es um mehr als um streng juristische Fragen oder die Steuerentlastung von einigen Euro. Selbst die Zersiedelung des ländlichen Raums oder steigende Benzinpreise sind nicht das vorrangige Thema. Es geht um ein spezifisches Staatsverständnis, das dem rheinisch-bavarischen Kapitalismus der Epoche von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl entlehnt ist.
Wie schon die Arbeitslosenhilfe in ihrer alten Form, so ist auch die Pendlerpauschale eine Institution, die es in dieser Form nirgendwo sonst auf der Welt gab. In beiden Fällen ging es ursprünglich darum, dass der Staat seine Bürger vor Veränderungen schützt - den Langzeitarbeitslosen vor einem möglichen Wechsel des Berufs, den nunmehr in der Stadt arbeitenden Dorfbewohner nach dem Niedergang der Landwirtschaft vor einem Wechsel seines Wohnorts.
Und es ging stets darum, den jeweiligen sozialen Status zu erhalten - der arbeitslose Ingenieur erhielt eine höhere Unterstützung als der arbeitslose Arbeiter, dem pendelnden Großverdiener verhilft die Pauschale zu einer erheblich höheren Steuerersparnis als dem pendelnden Niedriglöhner. Das System schützte zwar vor sozialem Abstieg, ein sozialer Aufstieg allerdings war nicht vorgesehen. Das viele Geld, das in die Statussicherung floss, fehlte am Ende im Bildungswesen.
Anders als bei Hartz IV, wo auch die Perspektivlosigkeit ganzer Regionen verhandelt wurde, bleibt es im Osten diesmal erstaunlich still. Obwohl in den ostdeutschen Ländern so viel gependelt wird wie nirgends sonst, stemmten sich die dortigen Politiker zunächst gegen die Wiedereinführung der Pauschale. Erst nach der Initiative aus Bayern kippten viele von ihnen um. Die Führungsrolle der CSU bei dem Thema ist ein Indiz dafür, dass dieser einzigen rein altbundesdeutschen Partei der bewährte Spagat zwischen Gestern und Morgen nicht mehr recht gelingen will. Das Wahlergebnis in Bayern wird zeigen, wie viele Wähler dieser Westalgie noch folgen.
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