Kommentar Päsidentenwahl: Vermischte Lage
Diesmal scheint die Lage diffus zu sein. Aus der Wahl des Staatsoberhaupts können keine Rückschlüsse über die politischen Mehrheiten gezogen werden.
S eit Gustav Heinemann 1969 Bundespräsident wurde und die sozialliberale Ära vorwegnahm, wird die Kür des Staatsoberhaupts gern als Wetterleuchten neuer Mehrheiten gedeutet. Auch diesmal glauben manche, dass sich aus dieser Wahl Bedeutsames herauslesen lässt. Dieses Spiel ist beliebt, doch in diesem Fall hat es etwas von Kaffeesatzleserei. Denn dafür sind die Lager zu uneindeutig, die symbolischen Aufladungen zu diffus.
Stefan Reinecke ist Parlamentsredakteur der taz.
Gesine Schwan bewegt sich in paradoxer Lage. Sie muss von SPD, Grünen und Linkspartei gewählt werden - aber sie ist keineswegs die Kandidatin von Rot-Rot-Grün. Denn die SPD-Spitze hat geschworen, im Bund nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, und kann bis 2013 dieses Bekenntnis nur bei Strafe des Untergangs brechen. Schwan hat daher die Probleme, die Rot-Rot-Grün haben wird - Abweichler in allen drei Parteien -, ohne die rot-rot-grüne Kandidatin zu sein. Das Risiko für die SPD ist gleichwohl überschaubar. Verliert Schwan, wundert dies keinen. Gewinnt sie, muss sich die SPD zwar mit einer Rot-Rot-Debatte herumärgern, hat aber gezeigt, dass sie in schwieriger Lage siegen kann. So oder so - für die SPD sind beides vermischte Lagen.
Bei Köhler ist die Situation klarer. Verliert er, werden viele dies als Zeichen lesen, dass es auch am 27. September nicht für Schwarz-Gelb reicht. Doch gemach. Köhler ist so demonstrativ auf Distanz zur politischen Klasse gegangen, dass er vielen nur noch bedingt als Merkels Mann gilt.
Insofern könnte die Bundesversammlung ein paar Lockerungsübungen wagen. Sollen die Ost-SPDler, denen Schwans DDR-Bild nicht passt, doch für Köhler stimmen. Sollen die Unions-Anhänger, denen Köhlers Politikerschelte zu billig ist, Schwan wählen. Selten war es so naheliegend, die Machtlogik beiseitezuschieben und nach eigenem Gusto zu wählen. Für die Demokratie wäre es kein Schaden.
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