Kommentar: Ostermärsche : Friedensbewegung und Kriegslogik
Merkwürdig: Vor dem Hintergrund des vom Völkerrecht nicht gedeckten Einmarsches der US-Armee in den Irak erlebte die Friedensbewegung im vergangenen Jahr eine Renaissance. Die Teilnehmerzahlen der traditionellen Friedensdemonstrationen stiegen, ein Hauch des Protests strich über das Land – und erfasste mit SPD und Grünen sogar Bundesregierung und Kanzler. Zu unausgegoren, zu unglaubwürdig schien die Begründung der Regierung Bush, zu hilflos die Auftritte von US-Außenminister Colin Powell.
Doch erst heute, ein Jahr nach der durch nichts gedeckten Besetzung eines souveränen Staats wird das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich: Täglich bezahlen mehr Menschen mit ihrem Leben für die Cowboy-Allüren des US-Präsidenten, die meisten davon Zivilisten. Während sich die angeblich gehorteten irakischen Massenvernichtungswaffen in Luft auflösten, destabilisiert die US-Besatzung den gesamten Nahen Osten jeden Tag ein wenig mehr. Nie waren Demonstrationen gegen den willkürlichen, ungerechten Krieg berechtigter, nie war der Druck der Straße nötiger als heute.
Doch wo bleibt jetzt der Protest der Friedensbewegung? Beugen sich viele Aktivisten der Kriegslogik – ungerechte US-Aggression vor einem Jahr, nicht zu rechtfertigender Aufstand militanter Iraker heute? Offensichtlich hätten die Organisatoren der Friedensmärsche das Unrecht im Irak viel stärker in den Mittelpunkt ihrer Aktionen rücken müssen: Mit Sozialabbau in Europa hat der Krieg im Irak nichts zu tun. ANDREAS WYPUTTA