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Kommentar Nato und LibyenFolterer und Befreier

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die Kumpanei der Natostaaten ging soweit, dass den Gaddafi-Handlangern sogar Oppositionelle frei Haus geliefert wurden, damit sie dort unter Folter verhört werden.

D ie Beteiligung der Nato am Krieg in Libyen ist von vielen Kritikern des Militärbündnisses als ein Schritt interpretiert worden, der vor allem der Wahrung eigener Interessen an der Ölversorgung dient. Der Krieg helfe zudem bei der regionalen Machtsicherung und habe weiterhin den Zweck, eine unliebsame Regierung zu stürzen und diese durch ein angepasstes Regime zu ersetzen.

Die Logik dieser Argumentation besticht vor allem durch ihre Einfachheit. Die Hilfe für die von einem Massaker bedrohte Zivilbevölkerung in Bengasi zu Beginn des Konflikts wird umstandslos als Nato-Propaganda abgebucht.

Nun sind Papiere aufgetaucht, die diese Weltsicht erschüttern mögen. Denn danach hat der Westen, haben insbesondere die USA und Großbritannien, mit ihrem angeblichen Feind Gaddafi gemeinsame Sache gemacht.

Nicht nur schlossen sie Verträge über Öllieferungen und die Rückkehr von Flüchtlingen. Nein, sie paktierten auch in anderer Angelegenheit mit dem Diktator: bei der Folter.

taz
KLAUS HILLENBRAND

ist Chef vom Dienst der taz.

Unter George W. Bush verschickten die USA Terrorverdächtige nach Tripolis. Sie ließen dort nicht nur Misshandlungen zu, sondern versorgten die Schergen des Regimes auch mit den passenden Fragen an die Delinquenten.

Die Hilfe für Gaddafi ging so weit, dass die Amerikaner einen Redetext für Gaddafi formulierten und einen seiner Kritiker in Bangkok überwältigten und nach Libyen verschleppten. Pech für die USA, dass der Mann heute zu den Siegern zählt.

Die Kumpanei des Westens mit Gaddafi zeigt zweierlei: erstens, wie freundlich die Beziehungen zwischen Nato-Staaten und Gaddafi in den letzten Jahren seiner Herrschaft waren. Ein viel größerer Vertrauensbeweis als das Outsourcen von Verhören an ein fremdes Land ist kaum noch denkbar.

Zweitens aber beweist die Affäre, wie wenig ein schematisches Freund-Feind-Denken für eine kühle Analyse von Außenpolitik taugt. Die Nato-Staaten, so viel steht fest, paktierten jahrelang mit dem Diktator, den sie nun stürzen halfen.

Sie kamen einer bedrohten Bevölkerung zu Hilfe, obwohl sie die Opposition zuvor unter den Generalverdacht des Islamismus gestellt hatten. Sie ließen Gaddafi fallen, obwohl er zuvor großzügig mit Waffen ausgestattet worden war.

Hat die Nato durch den Sturz Gaddafis also gewonnen oder verloren? Nur simpel gestrickte Geister mögen sich an solchen Fragen abarbeiten.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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6 Kommentare

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  • JL
    julius lieske

    Hillenbrandts "kühle Analyse von Aussenpolitik" vermisse ich in seinem Kommentar. Liegt vielleicht daran, dass er einem "schematischen Freund-Feind-Denken" unterliegt - oder ist die simple Feststellung der Zusammenarbeit von Gaddafi mit Nato-Staaten in der Abwehr von islamistischem Terror jetzt seine Analyse? Eine seit mehr als einem Jahrzehnt bekannte Geschichte wird von ihm als Überraschung verkauft.

    Wir sind nicht überrascht.Libyen musste sich gegen Feinde zur Wehr setzen und hat pragmatisch jede Hilfe benutzt, die es kriegen konnte. Nebenbei wurde durch diese Haltung auch noch die Wirtschaftsblockade gelockert. Ein gutes Geschäft zum Nutzen der libyschen Bevölkerung. Nur simpel gestrickte Geister können darin mehr sehen und sich an Fragen abarbeiten wie: "Hat die Nato durch den Sturz Gaddafis also gewonnen oder verloren?" denn die Antwort liegt auf der Hand. Kurzfristig gewonnen aber langfristig verloren.

    Nebenbei: Wann und wo haben denn "die Nato-Staaten" die Opposition unter Generalverdacht des Islamismus gestellt? Das wäre mir neu. Bisher sind mir nur Lobeshymnen auf die demokratisch gesinnten "Rebellen" bekannt. Und natürlich die Dauerbrenner des Gaddafi-Bashing durch Natotreue Medien: es wären Islamisten erschossen worden und ihre Menschenrechte von der libyschen Regierung verletzt worden. Die einzigen, die Teile dieser Opposition richtigerweise als Islamisten bezeichnen, sind die Kritiker dieses Angriffskrieges.

  • F
    faehrmann

    So so. Die NATO griff also ein, "um ein Massaker zu verhindern". Und jetzt, da die vor kurzem noch vom Massaker Bedrohten selbst ankündigen, "die Zeit ist um", und Städte innerhalb von 24 Stunden anzugreifen ankündigen und das damit verbundene "Massaker" schon mal vorsorglich den Verteidigern in die Schuhe schieben? Was macht die NATO jetzt? Nase bohren? Und was meint die TAZ dazu?

     

    (vgl. u.a. ZEIT von heute: Rebellen befürchten Massaker in Bani Walid, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-09/libyen-bani-walid-rebellen)

  • JK
    Jürgen Kluzik

    Moslems und ihr Kampf gegen einen Diktator sind für viel deutsche Linke ein größeres Ärgernis als Foltergefängnisse, in denen die Wärter ihre Häftlinge totprügeln.

  • E
    end.the.occupation

    Ich habe noch nie einen derartig konfusen Unsinn gelesen.

     

    Aber - hey - ich erinnere mich: Hillenbrand hat hier schon einmal die Kolonialisierung Australiens und Neuseelands zu einem zivilisatorischen Akt erklärt - dem im 19. Jahrhundert ca. 60% der Bevölkerung zum Opfer fielen.

     

    Da passt seine Verklärung des Libyen-Überfalls doch wie die Faust auf's Auge.

  • F
    Florentine

    "Die Hilfe für die von einem Massaker bedrohte Zivilbevölkerung in Bengasi zu Beginn des Konflikts..." Wofür es ausser Propagandaaussagen immer noch keine Beweise gibt. Die Nazis haben auch Gleiwitz veranstaltet, um ihren Kriegsgrund zu bekommen. Aber was kümmert dies schon...Es braucht für die taz einige Schlüsselbegriffe, schon läuft sie zu Propagandahöchstform auf..."Rebellen", "Revolution", "Freiheitskämpfer", "Aufständische"...da wird der Krieg zum orgastischen Moment der Selbstbeglückung. Was kümmern da Tote, wenn der Krieg und die Nachkriegszeit für Libyen als "die schönste Krise", so die taz, gesehen wird.

  • VD
    valeria damiroxa

    Langfristig verloren: In Asien, Afrika, dem Nahen Osten, und Lateinamerika verfolgt man die Geopolitik der NATO - als "Klub der alten Kolonialherren" - und der Fall Lybia verstaerkt heute - und besonders in der Zukunft die nationalistischen Elemente in diesen 150+ Nationen welche die Abwehr gegen NATO anstreben durch Verbindung mit anderen "unabhaengigen" Nationen unter diesen 150+ Nationen. BRICS, IBSA, UNASUR sind schon de-facto geopolitische Verteidigungspartnerschaften...