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Kommentar MitterrandHistorische Dimensionen

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die Sympathiewelle für François Mitterrand beruht auf der Verklärung einer Vergangenheit, in der von Globalisierung noch keine Rede war.

N atürlich erinnert man sich lieber an das Schöne, Angenehme und Vorteilhafte. Dieser Logik des selektiven Erinnerungsvermögen entrinnt auch die Mitterrand-Nostalgie der französischen Linken nicht. Der Wahlsieg von 1981 erscheint in diesem Licht, das Kontraste mildert, als glücklicher Moment einer politischen Familie.

Mit einem Fest begingen darum gestern die Sozialisten in der Pariser Parteizentrale an der Rue Solferino den Gedenkanlass. Allerdings wären für sie wohl aus den Niederlagen in Serie bei den Präsidentschaftswahlen nach Mitterrand von 1995, 2002 und 2007 für die unmittelbare Zukunft der nächsten Wahl des Präsidenten der Republik weit mehr nützliche politischen Lehren zu ziehen.

Heute streiten im Vorfeld der nächsten Wahlen die Prätendenten um Mitterrands Erbe. Die Suche nach historischer Legitimität mag diese Sehnsucht nach einem Vorbild und einer Vaterfigur erklären. Peinlich wird die Nostalgie, wenn diese ausgerechnet die strategischen Schwächen, Fehleinschätzungen oder vorsätzlichen Lügen retuschiert.

In den Zeitungsredaktionen sind Gedenkanlässe in der Regel nur dann gefragt, wenn Saure-Gurken-Zeit herrscht, was in Frankreich derzeit wirklich nicht der Fall ist. Warum also dieses überraschende Comeback in den Medien und vor allem weshalb das Interesse der breiteren Bevölkerung?

Der Autor

RUDOLF BALMER ist Frankreich-Korrespondent der taz und lebt in Paris.

Weil Mitterrand eine Vergangenheit verkörpert, die durch die Distanz verklärt schon als gute alte Zeit erscheint, in der noch kaum von Globalisierung die Rede war, eine gerechte Gesellschaft hingegen als konkrete Utopie erschien?

Das Interesse an dieser geschönten Vergangenheit erklärt sich bestimmt auch aus der Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Mitterrand erscheint den Zeitgenossen mit seiner historischen Aura umso größer, als ihnen der Amtsinhaber Nicolas Sarkozy nach bloß vier Jahren klein vorkommt. Die Dimension dürfte aber nicht allein eine Frage der Optik sein.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

1 Kommentar

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  • C
    C.Antonius

    Wir erinnern uns gut: Nach kurzer Zeit im Amt war der Druck auf Mitterand so groß, dass er seine sozialistische Wirtschaftspolitik radikal ändern musste (das Umfeld - Reagan und Kohl - war nicht très génial). Mitterands bester Kumpel, der reaktionäre (sozialistische) Verteidigungsminister, hat damals das Greenpeaceboot vor Auckland versenken lassen und dabei einen Journalisten getötet. Mitterands Aufenthalt in Deutschland während des Krieges wurde ebenfalls mit ein paar Sahnetupfern versetzt; dass er seinen langjährigen Krebs geheimhielt, war jedoch mehr als sein gutes Recht.

    Trotzdem: Dass sich ein so unbewegliches, von irrationalen Ängsten, Zentralismus und eigener 'Gloire' ersticktes Land für eine Weile diesen klugen Mann gegönnt hat, war eine intellektuelle Wohltat; langfristige Veränderungen an der wirtschaftlichen Basis sind mir leider nicht in Erinnerung.

     

    Selbst mit einem mittelmäßigen Französisch konnte man wahrnehmen, dass er ein 'homme litéraire' war - der Herr konnte sich wunderbar und sehr amüsant ausdrücken, und war von Erscheinung und Ausdruckskraft her, in punkto Kultur und Zynismus der jetzigen Generation haushoch überlegen. Kontrollierte Leidenschaft; er prägte den Satz: Thatcher hat das Lächeln von Marilyn Monroe und die Augen von Stalin (irgendsowas).

     

    Man sollte sich aber auch an Jacques Delors erinnern, einen großen Europäer, und auch seine

    Tochter, Martine Aubry, nicht vergessen. Sie redet keinen süßen Stuss wie Ségolène und hat noch ein paar Prinzipien.

    Auch bei Mitterand ging es nicht nur ums Äußere. Wenn sie und Strauss-Kahn sich zusammenfinden könnten, gibt es für die Sozialisten vielleicht noch Hoffnung.

     

    Die wirklichen Umwälzungen müssen aber, wie immer, von der Basis kommen - mit Hilfe der französ. Grünen.