Kommentar Merkel: Die Sonnenschein-Kanzlerin
Typisch Merkel: Einerseits mahnt sie Jung und Schäuble, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, andererseits nimmt sie sie in Schutz. Mit ihrer Sowohl-als-auch-Methode kommt sie gut durchgekommen.
Angesichts der jüngsten Auftritte der CDU-Minister Schäuble und Jung als apokalyptische Tiefflieger muss ihrer beider Chefin, Bundeskanzlerin Merkel, einen schwierigen Balanceakt vollführen. Einerseits gilt es, die Öffentlichkeit mit der Mahnung an die beiden Provokateure zu beruhigen, dass Sicherheitsfragen nicht zur Unsicherheit in der Bevölkerung führen dürften. Das kann man so lesen, als stimme sie indirekt der Kritik des SPD-Koalitionspartners an Schäuble und Jung zu. Andererseits verteidigt die Kanzlerin ihre beiden Paladine mit dem trotzigen Hinweis, man dürfe doch Politikern, die schwere Verantwortung trügen, keine Denkverbote auferlegen.
Wie es aussieht, wird Angela Merkel mit dieser Sowohl-als-auch-Methode diesmal erneut gut durchkommen. Die anhaltend guten Umfrageergebnisse für die CDU im Allgemeinen und für die Kanzlerin im Besonderen sorgen dafür, dass sich alle Zweifler im christdemokratischen Lager mit Kritik zurückhalten.
Ihr taktisches Geschick wie ihre Einsicht ins jeweils Mögliche hat Merkel zuletzt auch wieder unter Beweis gestellt. Denn einerseits lehnte sie bislang strikt ein allgemeines Gesetz zum Mindestlohn ab, andererseits kam sie dem Koalitionspartner wie den Gewerkschaften beim Mindestlohn im Postbereich nun entgegen.
Hinter vorgehaltener Hand heißt es im rechtskonservativen Milieu zähneknirschend, die Kanzlerin betreibe die Sozialdemokratisierung der Union. Solches hörte man seinerzeit schon von Friedrich Merz, und es ist ihm schlecht bekommen. Klar ist: Angela Merkel hat die Lektion aus dem schlechten CDU-Ergebnis bei den Bundestagswahlen 2005 gelernt, vor denen sie als neoliberale Heilsspenderin posierte. Sie tritt pragmatisch auf, beschränkt sich auf das Durchsetzbare.
Die Kanzlerin sitzt also auf dem Feldherrenhügel und lässt die Dinge in der genehmen Richtung laufen. Solches Regierungshandeln funktioniert allerdings nur bei Sonnenschein. Schon eine Niederlage bei den Landtagswahlen am 27. Januar 2008 in Hessen und Niedersachsen würde das Firmament verdüstern. Bis dahin aber herrscht die Gute-Wetter-Kanzlerin ganz unbeschwert.
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