Kommentar Lufthansa-Streik: Doppelmoral des Boulevards
Die Einigung zwischen Lufthansa und Verdi im Tarifstreit hat nicht nur kein schlechtes Ergebnis erzielt - sondern auch eine Hetzkampagne der Boulevard-Medien gestoppt.
Barbara Dribbusch arbeitet im taz-Inlandsressort und interessiert sich besonders für die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.
Nun doch relativ schnell hat sich die Gewerkschaft Ver.di mit der Lufthansa auf einen Tarifabschluss geeinigt. Umgerechnet 4,2 Prozent mehr pro Jahr gibt es für das Boden- und Kabinenpersonal, zuvor hatte das Unternehmen 3,8 Prozent angeboten. Kein schlechtes Ergebnis für einen Streik, der den Luftverkehr in Deutschland zuletzt spürbar beeinträchtigt hatte. Auch wenn die Kleingewerkschaft UFO ankündigte, für ihr Kabinenpersonal demnächst einen höheren Abschluss zu fordern. Man lernt einiges über Solidarität und Zersplitterung in diesem Arbeitskampf. Lehrreich war auch die Hetzkampagne gegen Ver.di-Chef Frank Bsirske, die Bild am Freitag gestartet hatte. Daran lässt sich die Doppelmoral mancher Medien besichtigen, die ihrerseits vorgeben, Doppelmoral zu entlarven.
Das Blatt forderte den Rücktritt von Bsirske, weil dieser als Ver.di-Chef verantwortlich ist für den Streik, gleichzeitig als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Lufthansa sitzt und zwei Wochen vor dem Ausstand in Urlaub geflogen ist, mit einem Freiflug in der ersten Klasse. Da ließen sich Bilder, die Ressentiments wecken, trefflich aufeinanderstapeln. Das Bild vom lächelnden Gewerkschaftschef, die Wörter "gratis", "Erste Klasse", "Südsee" und "Kaviar". Der parasitäre Gewerkschaftsboss einerseits, die armen, gestressten Urlauber, die ihren mühsam ersparten Ferienflug nicht antreten konnten, andererseits - das zieht.
Sicher war es von Bsirske unsensibel, im Urlaub zu bleiben, während seine Gewerkschaft streikt. Andererseits aber kriegen Lufthansa-Aufsichtsräte nun mal Freiflüge erster Klasse. Und Gewerkschafter sitzen in Aufsichtsräten aufgrund des Mitbestimmungsgesetzes, nicht, weil sie verlogene Menschen sind.
Nie würde der Springer-Boulevard eine Hetzkampagne gegen Franz Beckenbauer oder Michael Schuhmacher beginnen. Beide sind Steuerflüchtlinge, die durch ihren Wohnsitz im Ausland dem deutschen Fiskus Steuern entziehen, obwohl sie ihren Ruhm erst als deutsche Sportler errangen. Das Wohlwollen der Promisportler braucht man. Aber gegen einen Gewerkschaftschef lässt sich gut hetzen. Das sagt auch was über den Meinungsmainstream in Deutschland.
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