Kommentar Konjunkturpaket II: Verschwendung befohlen, Denken erlaubt
Angesichts der Wirtschaftskrise wird der Knigge des angeblich wirtschaftspolitisch korrekten Verhaltens umgeschrieben - ganz schön schräg.
Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.
Selbst der gutwilligste Bürger steht derzeit vor schwierigen Fragen. Besonders, wenn er oder sie ein gutes Gedächtnis hat. Haushaltsprobleme! Sparpaket! Umweltkrise! Erinnert sich da noch jemand dran? Diese Aufrufe aus der Politik in den vergangenen Jahren, zu sparen, zu sparen, zu sparen. Bei den Staatsausgaben, bei den Löhnen, beim Konsum, beim CO2-Ausstoß, bei der Ausdehnung der Freizeit. Damit wir mithalten können im globalen Wettbewerb und beim Klimawandel und überhaupt. Jetzt, angesichts der Wirtschaftskrise und des am Freitag verabschiedeten zweiten Konjunkturpakets, wird der Knigge des angeblich wirtschaftspolitisch korrekten Verhaltens umgeschrieben. In welcher Geschwindigkeit das geschieht, das ist schon historisch einmalig.
Eine hohe öffentliche Verschuldung verwandelte sich vom Damoklesschwert in einen Rettungsanker. Ein Auto kaufen, auch wenn man noch einen Wagen hat, ist heute krisen-korrekt. Das steuererleichterte Nettogehalt möglichst nicht sparen, sondern in den Einzelhandel tragen, soll die Wirtschaft am Laufen halten. Tausende müssen Kurzarbeit akzeptieren, weil allzu viel Output derzeit nicht gefragt ist am Markt. Was das alte Gerede von der finanziellen Eigenverantwortung betrifft, so wagt derzeit kein Politiker mehr, den Verbrauchern zu Banksparplänen zu raten. Wenn Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) lobt, die Abwrackprämie habe einen "fulminanten Start" hingelegt, so verbreitet dies einen Unterton von "Gas geben, leben, verschwenden". Das ist schräg angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen Jahren Gehälter gesunken sind, von der Rente nicht mehr viel zu erwarten ist und sich der Klimawandel verstärkt.
Die BürgerInnen machen die Erfahrung, dass die von der Politik verbreitete Kollektivmoral vergänglich ist wie die Ertragslage eines Aktiendepots. Das hat auch etwas Befreiendes. Denn wenn der Knigge des ökonomisch korrekten Verhaltens so kurzlebig ist, dann darf sich jeder auch individuellere Leitlinien basteln. Ob mit Spardruck, mit Neuwagen und Konsum - oder eben ohne.
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