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Kommentar Koalitionen in HessenStunde der Prinzipienreiter

Kommentar von Christian Semler

Die Halsstarrigkeit gegen mögliche Koalitionen in Hessen entspricht nicht nur einer Rhetorik. Gesellschaftliche Gegensätze lassen einen "Konsens der Demokraten" immer schwieriger werden.

D ie Tage nach der Landtagswahl in Hessen werden von einem markigen Prinzipialismus beherrscht. Ständig werden wir darüber belehrt, welche Koalition nie und nimmer geht. Die Sozialdemokraten betonen die Kluft, die sie von der CDU und von Roland Koch im Besonderen trennt. Kein Bündnis, selbst keine noch so verschämte Tolerierung durch "die Linke" kommt für die SPD infrage. Die von ihr umworbenen Liberalen aber versichern mit Verve, sie würden ihrem Wahlversprechen treu bleiben und die Ampel scheide für sie aus. Kochs CDU wiederum wird nicht müde, die unüberbrückbaren Differenzen zu den hessischen Sozialdemokraten hervorzuheben. Wo bleibt der geschmeidige Pragmatismus, wo die immer bemühte Faustregel, wonach unabhängig von Prinzipien Koalitionen möglich sein müssen, wenn das Wahlergebnis sie erheischt?

Die neue Halsstarrigkeit entspricht nicht nur einer vorübergehenden Rhetorik. Sie ist mehr als der Versuch, auf Zeit zu spielen, um nach der Hamburger Bürgerschaftswahl zum Pragmatismus zurückzukehren. Vielmehr spiegelt sich im Prinzipialismus die Erfahrung, dass die sich verschärfenden gesellschaftlichen Gegensätze einen "Konsens der Demokraten" immer schwieriger werden lassen. Es ist die zunehmende Relevanz der "sozialen Frage", die das Parteiensystem durcheinanderbringt. Deshalb berührt der Vergleich des Aufstiegs der Partei Die Linke mit der Aufstiegsphase der Grünen nur die politische Oberfläche, nicht aber den gesellschaftlichen Umbruch, der sich in der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit kristallisiert.

Die "Sozialdemokratisierung" der CDU ist nichts als der Versuch, dieses Umbruchs bei der Wählerschaft Herr zu werden. Wie aber schon die Auseinandersetzung um den Mindestlohn zeigt, sind diesem Versuch innerhalb einer großen Koalition enge Grenzen gesetzt. Das gleiche politische Versuchsfeld verweist die SPD wie die Grünen auf eine Zusammenarbeit mit der Partei der Linken. Die Hoffnung der SPD, die Linken würden infolge von Becks Kurskorrektur verschwinden, hat getrogen. Es stimmt: Die Linken sind gekommen, um zu bleiben. Daraus gilt es für die SPD die einzig rationale Konsequenz zu ziehen.

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