Kommentar Klaus Ernst: Nicht gewappnet für den Ernstfall
Klaus Ernst ist ein westdeutscher Aufsteiger. Er hat deswegen keine Scheu, seinen Reichtum zu zeigen. Beim Streit um sein Einkommen geht es im Kern um Mentalitäten.
D as Sommerloch hat ein erstes Opfer gefordert: Klaus Ernst, Chef der Linkspartei. Ernst verdiene zu viel, heißt der mit moralischem Tremolo unterlegte Vorwurf. Der Zeigefinger wird erhoben, gerne von Journalisten, die für die 3.500 Euro, die Ernst als Parteichef bekommt, noch nicht mal aufstehen würden. Diese mediale Kampagne lässt sich auch durch den Mangel an skandalösen Neuigkeiten nicht irritieren. Die Süddeutsche Zeitung überschrieb einen Artikel neulich mit der Zeile: "Ernst tritt nicht zurück." So macht man Stimmung.
Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht, über die Gehälter von Spitzenpolitikern zu debattieren. Es gibt aber zu denken, dass sich niemand über das (höhere) Gehalt etwa von SPD-Chef Sigmar Gabriel aufregt. Was im Falle Ernst stört, ist zudem die Maßlosigkeit der Vorwürfe, die bedenkenlose Übertreibung seiner Bedeutung und die Inszenierung als Sündenfall.
Im Kern geht es um Mentalitäten. Ernst ist ein westdeutscher Aufsteiger, der von ganz unten kommt und seine Karriere in der IG Metall gemacht hat. Er hat, wie viele Aufsteiger, keine Scheu, seinen Reichtum zu zeigen. Dieser Habitus verstört viele ostdeutsche Genossen, die einem gefühlten Egalitarismus verpflichtet sind, der noch aus DDR-Zeiten stammt.
Ernst hat viel dafür getan, dass die Debatte in einer Endlosschleife hängen geblieben ist. Warum verzichtet er nicht auf die Zulage von 1.900 Euro als Fraktionsvorstand? Das wäre eine souveräne Geste, die zeigen würde, dass der Parteichef seine Ostgenossen verstanden hat. Doch diese Art von Klugheit fehlt ihm leider. Stattdessen vergeigt er das Krisenmanagement.
Doch diese Affäre wird verschwinden. Die Frage, die bleiben wird, ist: Was macht Klaus Ernst, wenn die Partei mal ein echtes Problem hat?
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