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Kommentar Kirche und MissbrauchDer Fall des Katholizismus

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Der Skandal um pädophile Priester wird die katholische Kirche verändern. Ihre Autorität hat sie schon heute verloren.

D as Lautwerden der zahlreichen Opfer bringt die letzte strikt autoritär strukturierte Institution unserer Zivilgesellschaft in Zugzwang: die katholische Kirche. Denn nun ist auch ihr Oberhaupt, also die Inkarnation der höchsten, unangreifbaren Autorität, einer weltlichen Kritik ausgesetzt, die sie nicht mehr ignorieren kann. Papst Benedikt stimmte in seiner Funktion als Erzbischof von München dem Umzug eines pädophilen Priesters in sein Bistum zu. Er hat ihn damit, so scheint es im Moment, ohne besondere Absicht, mithin routinemäßig, gedeckt.

Die Kollateralschäden, die dieses Eingeständnis verursacht, sind noch nicht abzusehen. Die Freunde der katholischen Lehre und Institution legen sich nun natürlich ins Zeug und weisen zu Recht darauf hin, dass Missbrauch überall in unserer Gesellschaft stattfindet, keineswegs nur in katholischen Pfarreien und Erziehungsanstalten. Der entscheidende Unterschied aber besteht darin, dass die katholische Kirche ihre gewalttätigen Priester bis heute systematisch geschützt hat.

Ein weltlicher Lehrer, der seine Schüler missbraucht, gar dafür verurteilt wird, findet keinen Job als Pädagoge mehr. Die katholische Kirche hingegen hat für sich bislang immer das Recht in Anspruch genommen, "die Dinge" selbst zu regeln. Sie folgte damit der Überzeugung, dass die von ihr geweihten Männer eine Autorität verkörpern, die über jede weltliche Kritik erhaben ist. Sie ist damit die letzte zivile Institution, die ihre Amtsträger mit dem Selbstverständnis ausstattet, ihre Entscheidungen stünden stets über den Empfindungen der Schutzbefohlenen - und auch über deren Recht auf (sexuelle) Selbstbestimmung.

Bild: privat

Ines Kappert ist Leiterin des taz-Meinungsressorts.

Und genau diese Ideologie stellt sie nun endlich in offenen moralischen Widerspruch zur deutschen Gesellschaft. Sie ist 2010 so wenig haltbar wie das daraus abgeleitete Prinzip der Top-down-Kommunikation im Sinne von "Was ich will, geschehe, und du bist still". Zum Glück hängt nur noch das Militär dieser autoritären Weltauffassung an - und sein Rechtsverständnis steht ja per definitionem dem Zivilrecht entgegen.

Dass die katholische Kirche jetzt unter Reformdruck gerät, ist kein Zufall. Die deutsche Gesellschaft pflegt zunehmend die Idee, Kinder als Gesprächspartner zu behandeln. Wir merken das im Supermarkt, wenn Eltern ihren Nachwuchs vom Süßwarenregal wegziehen und dabei nahezu ausnahmslos das Wort "bitte" im Mund führen.

Wir merken es in dem Ringen um eine Grundschule ohne Noten und auch daran, dass sich eine Erkenntnis immer weiter durchsetzt: Kinder, deren Selbstwertgefühl von Erwachsenen zerstört wurde, werden später keine belastbaren Leistungsträger sein. Die Devise "Was dich nicht umbringt, härtet dich ab", verfängt nicht mehr. Entsprechend hoch ist die Sensibilität der Mittelschichten, ihre Kinder vor brutalem Erziehungspersonal zu schützen. Und über gemachte Gewalterfahrungen zu sprechen.

Diesen Sinneswandel muss nun auch die katholische Kirche ihren Vertretern nahebringen. Bei vielen, zumal auf den unteren Ebenen, dürfte sie offene Türen einrennen. Bei Papst Benedikt hingegen gibt es derzeit keine Anzeichen für ein solches Umdenken. Generell hat der Geistliche in seinem 83-jährigen Leben wenig Erfahrung mit dem Prinzip Kommunikation gesammelt.

Er zog es vor, seine Überzeugungen zu dekretieren. Zuhören und dialektisches Denken sind ihm keine vertrauten Kulturtechniken. Auch jetzt schweigt er. Seine Wortlosigkeit aber bezeugt vor allem eines: Der Versuch, den Patriarchen alter Schule als Modell auch ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten, ist gescheitert. Passende Worte lassen sich für ihn nicht mehr finden.

Diese fand der Mann, der in seinem aktuellen Film "Das weiße Band" das Phänomen der missbrauchenden Autorität auseinandernimmt. So sagte Michael Haneke weise: "Ich bin ein Realist. Und ein Realist kann nur angenehm überrascht werden." Die angenehme Überraschung, die all die grausamen Geschichten von machttrunkenen Pädagogen bewirken, ist: In diesem Fall wird die öffentliche Empörung dazu führen, dass die katholische Kirche hierzulande menschenfreundlicher werden wird. Sie wird neu definieren müssen, was geistliche Autorität bedeutet.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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12 Kommentare

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  • P
    petersemenczuk

    Ich kann das nicht verstehen als Christ,der von Gott zu einem Christen gemacht wurde und nicht von anmaßende und selbstberufene Päpste, Bischöfe und Priestern, dass die römisch-katholische Kirche es wagt noch von Gott und seinem Christus zu predigen, sich das noch bezahlen lassen mit vielen Millionen

    Euro obwohl Gott und sein Christus, diese Institution

    seit 312 n.Chr. verworfen hat,

    1.weil sie nicht nur das Wort Gottes verfälscht haben,

    2.weil sie nicht nur die Lehre und Theologie des lebendigen Gottes verfälscht haben,

    3, weil sie nicht nur den von Gott geforderten Gttesdienst verfälscht haben,

    4. sondern auch den wahren Tempel und Gotteshaus verfälscht haben!!!

    Als ein Wiedergeburtschrist lebe ich,außerhalb aller dieser anmaßenden Religionen ,Kirchen, Tempeln, Gemeinden und Sekten, und muss immerwieder fest -stellen, dass die,die sich Christen nennen, nach dem Geist Gottes und der Wahrheit,KEINE SIND und auch nicht selig werden,denn wie Christus schon sagte:

    "WENN ein Blinder, einen anderen Blinden leitet, so fallen sie beide in die Grube".

    Von Anfang der Menschheit und von Anfang des Urchristentums, sind wahre Diener, Jünger, Propheten und Theologen Gottes, immer von Gott gemacht worden und nicht von anmaßenden Menschen/Fleisch und Blut sagt Gott mit ihren theologischen Fakultäten, gleich der Heiden in der Steinzeit und Antike.

    Keine christliche Religion,Kirche, Tempel, Gemeinde und Sekte, kann sich mit den,vo nGott und Christus berufenen, zubereiteten,erwählten und legitimierten Jünger, Aposteln und Propheten vergleichen,noch auf die selbe Stufe stellen sagt Gott in einer Weissagung. Autor Peter Semenczuk

  • C
    Cymaphore

    Ich habe irgendwie das gefühl dass wir dieser Religionsorganisation gegenüber lange genug mit Milde und Verständnis bei ihren gesellschaftsfeindlichen Aktivitäten begegnet sind...

     

    Ich würde es daher eher so ausdrücken: Katholische kirche - "Failure by Design" statt "Intelligent Design" ... Siehe: http://bit.ly/bCtZsf

  • W
    Wolfgang

    In den Kirchenetagen sitzen "Ungläubige", mehr als man glaubt. Das hat mich aus eigener Erfahrung verblüfft und ich sehe dem Sterben der Kirche gnadenlos zu. Amen.

  • TD
    Tragik der Logik

    Wer für sich selbst Unfehlbarkeit

    reklamiert, kann nicht lernfähig

    sein. Das ist die Tragik der Logik.

  • F
    Franklin

    Frau Kappert, Ihr Kommentar spricht mir aus dem Herzen. Entweder die Institution katholische Kirche wird den Weg aus der Feudalzeit herausfinden oder weiter ins gesellschaftliche Abseits geraten. Sexuelle und andere Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Rahmen dieser Institution werden jetzt an die Öffentlichkeit kommen. Hier ist eine Lawine losgetreten.

  • RS
    Ron Sommer

    Guter Kommentar, vielen Dank,

     

    Darüber halte ich es aber für noch eleganter, auf jegliche Stimmungsmache gegen die Kirche verzichten.

    Zum Beispiel sollten die mutmaßlichen Täter eben solange genauso durch die Unschuldsvermutung geschützt sein (bis eine Tat erwiesen ist) wie jeder andere Verdächtige auch.

    Genau so unterliegt dann aber auch der komplette Klerus demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben.

    Das würde bedeuten, dass systematisches Verschweigen dieser Taten eben auch geahndet werden muss.

     

    Diese Haltung ist allein schon deswegen geboten, weil sich die Kirche ja bei geringstem Gegenwind die Errungenschaften der modernen demokratischen Rechtsstaatlichkeit selbst zuschreibt, als "Kanon christlicher Werte", obwohl sie als Organisation faktisch und nachweislich deren Entstehung sprichwörtlich bis aufs Blut bekämpft hat.

  • ME
    Mala Education

    Nicht nur schweigt der "Heilige Vater", seine Stellvertreter, die dieses eisige Schweigen als "Betroffenheit" auslegen, wollen ihn auch noch zum Opfer einer Kampagne machen. Ein Fall von Kindesmissbrauch soll ihm, dem vielbeschäftigten Theoretiker entgangen sein, ein geringerer Würdenträger springt in die Bresche und übernimmt "volle Verantwortung". Der Bruder des Papstes gibt an, er sei "erleichtert" gewesen, als die Prügelstrafe verboten wurde. Bis dahin hatte er gezüchtigt, ohne sein Gewissen zu beschweren - und nach deutscher Sitte vom sexuellen Missbrauch nichts hören/sehen wollen.

    "Wir haben davon nichts gewusst", mal wieder!

  • NF
    norbert franz schaaf

    Die fälligen Entschädigungszahlungen an kirchliche Missbrauchsopfer sind notwendig für entsprechende Therapien, für zerstörte Lebensentwürfe, entgangene Karrieren etc. Sie könnten finanziert werden durch einen „Solidaritätszuschlag auf erhöhte Kirchensteuern für Missbrauchsopfer durch Päderasten“.

  • HS
    Herrn Schmilz

    Wir (Jahrgang 1964) wussten alle, von einigen unserer nach Ettal in's Internat "aufgeräumten" Altersgenossen bildhaft und genauestens in Kenntnis gesetzt, was dort in den siebzigern zwischen Patres und Zöglingen lief.

    Allein, den Zehn-, Zwölf-, Vierzehnjährigen Internatsschülern in ihren Flegeljahren war natürlich grundsätzlich nicht zu glauben, ganz im Gegensatz zu ihren honorigen Peinigern in Kutte und Talar.

    Auch in anderen, wesentlich leichter katholisch verseuchten Zuchtanstalten wie dem "Schigymnasium" am Obersalzberg (sic!) kam es widerkehrend während meiner Insassenschaft dort zu gruppendynamisch gelenkten Folter- und Prügel-Szenen als "Disziplinierungsmassnahmen", die man vielleicht als grausame Einsprengsel in NAPOLA-Filmen vermuten würde, nicht aber in einer deutschen Internatsschule in den siebziger Jahren.

    Das Problem, auch der Katholen, ist nicht in erster Linie der Sex oder seine Abwesenheit, das absolute Problem sind "Disziplin"-Ideen und Machtverständnis grausamer Zuchtmeister, die sich als "Erzieher" missverstehen.

    Solchen Menschen Kinder zur Obhut anzuvertrauen kann nur schiefgehen, ganz egal ob die Gewalt nun religiös-verkorkst sexualisiert ist oder nicht.

  • S
    Svend

    Frau Kappert, ich kann Ihnen zu Ihrem enorm gesegneten Selbstbewusstsein nur gratulieren, denn es gehört ja schon etwas dazu, den Papst gemeinhin als dumm zu bezeichnen.

    Der Ärmste scheint ja Ihrem Intellekt leider nicht gewachsen zu sein.

     

    Wären doch all diese ewiggestrigen bloß von der Erde getilgt, damit endlich Ihr postmodernes Wunschdenken regieren kann – ich kann diesen einseitigen Mist langsam nicht mehr hören, deshalb schenke ich Ihnen auch eine Enthüllung schonungsloser Ehrlichkeit aus meiner frühen Kindheit:

     

    Ihre Behauptungen, die moderne Pädagogik schreite dort zielsicher ein, ist ebenfalls Wunschdenken. Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen mitteilen, dass der Rektor unserer Grundschule mit allem Eifer einen offen alkoholkranken Hausmeister, der mehr als einmal ein Kind schlug und sein Bier auf der Jungentoilette lagerte (90er Jahre!) bis in die Rente gedeckt hatte. Ebenfalls zu nennen war der hiesige Bademeister, der peinlichst genau jedes Mal darauf achtete, dass wir uns alle den Penis wuschen. "Habt Ihr euch den Penis gewaschen? - Ihr könnt mir viel erzählen!" klingt jedem meiner Schulkameraden von damals noch in den Ohren, in allen Klassen wohlgemerkt. Der Bademeister war nur so geschickt, dass er sich nie direkt strafbar gemacht hat. Reaktion unseres Rektors (der auch unser Schwimmlehrer war und komischer Weise nie mit uns zusammen die Dusche betrat) war ein entrüstetes "Da habt ihr wohl die Geister husten hören!". Dieser Mann war allerdings selbsternannt alternativ-christlich und kein Kleriker. Erst der Druck unserer Eltern bewirkte etwas, nämlich dass der Direktor alles bis zum allerletzten herunterspielte: "Der Mann hat für Hygiene zu sorgen..." Erst ein paar Eisenstangen ins Kreuz durch ältere Schüler vor seinem Haus brachten den Bademeister vor ca. 15 Jahren zur Räson, stilsicher vermochte er es noch sich in der Lokalzeitung als Opfer jugendlicher Gewalt darzustellen.

    Ich war auf keinem Jesuiten-Internat - alle Lehrer und LehrerInnen wussten von diesen (im Vergleich recht harmlosen) mindestens merkwürdigen Zuständen, aber auch die jungen Pädagoginnen, denen wir am allermeisten (an)vertrauten, konnten uns plötzlich nicht mehr hören, sobald auf diese "Peinlichkeiten" angesprochen wurden.

    Die Zustände auf der Odenwaldschule (diese erklärt übrigens die Person Daniel Cohn-Bendit)schienen ja genau so gewesen zu sein, selbst wenn es hier natürlich ungleich grausamer zuging. Denn direkten Missbrauch habe ich in meiner Schulzeit (auch vom Dorfpfarrer) nie erlebt.

    Wenn Sie noch zusätzlich erfahren wollen, welche Schweinereien auf meinem humanistischen Gymnasium (Beziehung eines Lehrers zu einer 16-jährigen Schülerin) so lange gedeckt wurden, bis die Scheiße zu allen Seiten hoch kochte, dann schreiben Sie mir eine E-Mail.

  • TF
    Thomas Fluhr

    Was erwarten denn alle von einer Organisation, die trotz ihrer Macht, zum dritten Reich geschwiegen hat?

    Diese Kirche war schon immer auf der falschen Seite.

  • K
    klaus

    Äh, was war das nochmal: Kirche?