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Kommentar IntegrationsberichtRegierung türkt Zahlen

Deniz Yücel
Kommentar von Deniz Yücel

Wenn man keine Daten über "Deutsche mit Migrationshintergrund" hat, sollte man ganz darauf verzichten, unzulässig vergleichende Statistiken zu verbreiten.

Z ahlen lügen nicht. Jene Zahlen, die Integrationsministerin Maria Böhmer am Mittwoch vorstellte, zeigen, wie es um die Integration bestellt ist: nicht gut. Zuwanderer sind krimineller, fauler und dümmer als der Rest. Höchste Zeit also, mit Multikulti-Mythen aufzuräumen und einzugestehen, dass selbst Roland Koch … Ach was! Natürlich können Zahlen lügen; weil sie so unbestechlich und unbestreitbar anmuten, sogar auf perfidere Weise als ordinäre Propaganda. Und viele Zahlen des Integrationsberichts sind, höflich formuliert: irreführend.

Bei einer ganzen Reihe von neuralgischen Indikatoren, wie dem schulischen Erfolg und der Kriminalität, gibt es zu wenig oder gar kein statistisches Material, um verlässliche Angaben über Menschen "mit Migrationshintergrund" zu treffen. Denn in diesen Statistiken erfasst wird nur die Staatsangehörigkeit.

Dumm nur, dass seit 1991, als ein Anspruch auf Einbürgerung gewährt wurde, allein mehr als 700.000 Türken eingebürgert wurden. Necla Kelek, Kaya Yanar, aber auch der Sauerland-Attentäter Atilla Selek und hunderttausende weitere, tendenziell besser ausgebildete, verdienende und integrierte Leute werden zumeist als Deutsche aufgeführt.

Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn der Bericht nicht behaupten würde, über die Lebenslage von 15,3 Millionen "Menschen mit Migrationshintergrund" Auskunft zu erteilen und nicht bloß über die 6,75 Millionen Ausländer im rechtlichen Sinn. Wenn also festgehalten wird, dass 34,2 Prozent der Deutschen, aber nur 13,1 Prozent der Ausländer das Abitur erwerben, weist es auf einen erklärungsbedürftigen und erst recht verbesserungsbedürftigen Zustand hin. Aber wie hoch der Anteil der Abiturienten "mit Migrationshintergrund" tatsächlich ist, lässt sich aus dieser Zahl nicht einmal erahnen. Das zeigen auch jene Statistiken, etwa die über die Jugendarbeitslosigkeit, wo der Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zur Quantité négligable dahinschmilzt.

Wenn man also keine Daten über "Deutsche mit Migrationshintergrund" hat - oder diese aus guten, republikanischen Gründen nicht erheben will -, sollte man ganz darauf verzichten, unzulässig vergleichende Statistiken zu verbreiten. Sonst trägt man grob fahrlässig zum Schüren von Ressentiments bei.

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Deniz Yücel
Kolumnist (ehem.)
Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.
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9 Kommentare

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  • A
    AnnaMirL

    Herr Yücel darf hier ungeschmink 'seine' Wahrheit darstellen. Er darf von 'getürkten Zahlen' der Regierung sprechen,vom evtl schüren von "Ressentiments", "perfider Weise" und "ordinärer Propaganda".

    Und die taz? Zensiert Kommentare dazu. Aber das ist gelebte bananenrepublikanische Wirklichkeit.

  • AG
    Andree Garduhn

    Ihr Autor hat vollkommen recht. Die Zahlen im Bericht stimmen so nicht, weil nur Ausländer und nicht der Migrationshintergrund statistisch erfaßt wird. Bei vollumfänglicher Erfassung des Migationshintergrundes wäre nämlich zu erkennen, daß der Anteil von Nichtdeutschen bei Kriminalität wesentlich höher ist als in der jetzigen Version, wo Migranten als deutsche Täter abgerechnet werden. Insofern sollte die Statistik in Zukunft genauer werden, um nicht falsche und beschönigende Zahlen zu präsentieren. Selbst diese sind ja schon katastrophal genug. Welche Konsequenzen folgen eigentlich aus solchen Erhebungen? Bekommen wir nun eine aktuelle Variation des gesamtgesellschaftlichen Kampfes gegen Rechts?

  • M
    MenschMeia

    Herr Yücel schreibt von: "Zahlen können lügen", "perfidere Weise", "ordinärer Propaganda", "Regierung türkt Zahlen", fahrlässigem Schüren "von Ressentiments". ganz schön heftige Worte.

     

    Und die taz zensiert Beiträge, die sich zwar kritisch,aber weder beleidigend, noch rassistisch oder mit ähnlichen Gründen, damit auseinandersetzen.

     

    Hallo, taz, dürfen die einen alles sagen? Und die anderen sollen schweigen? Ist Kritik an diesem Artikel bereist "rassistisch"? Wundern würd's mich bei deinem gut (=Migrant)/böse (=D) denken nicht.

  • DM
    de Menz

    Dieser Bericht ist überflüssig wie ein Kropf - es reicht am Nachmittag mit wachen Augen durch die Innenstadt zu gehen. GTI-Driver spricht mir aus dem Herzen.

    Warum sich anstrengen, wenn in Deutschland die Sozialhilfe für kinderreiche (Nahost-) Familien in einer Höhe gezahlt wird, welche durch tägliche Arbeit kaum zu erwirtschaften ist. Warum sich integrieren, wenn die Knete automatisch überweisen wird. Wieviele Familien aus Vietnam oder Thailand benötigen Sozialhilfe? Die arbeiten im Schweiße ihres Angesichts.

  • W
    WaltaMAX

    Mensch, Herr Yücel, wenn einem die Ergebnisse nicht passen, dann sind diese natürlich vor lauter "Ressentiment" "getürkt" und D wieder mal das böse, böse Land.

     

    Billiger geht's nimma, Herr Yücel. Und damit alles paßt, hilft die taz-Zensur dabei gleich mit.

  • GD
    GTI DRIVER

    WER EINE SITUATION VERBESSERN WILL, DARF NICHT ÜBER FAKTEN LÜGEN

     

    Sie haben recht. Dieser Bericht lügt. Aber nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit Begriffen. Vor allem mit den Begriffen "Zuwanderer", "Migranten" und "Migrationshintergrund". Diese Begriffe sind bewußt gesetzte Nebelbomben. Jeder weiß, daß es nicht um Österreicher, Franzosen, Polen, Amerikaner, Brasilianer, Peruaner, Japaner oder Vietnamesen (die ganz besonders nicht, wie alle Studien + der Augenschein belegen!) geht. Es geht ausschließlich um eine Gruppe von Migranten: Mohammedaner. Mit denen ist offenbar alles viel schwerer.

     

    Warum wollen so viele diese offenkundige Wahrheit nicht aussprechen? Es hat doch keinen Sinn, sich um Fakten herumzudrücken?

     

    Bei Weltverbesserern - dazu zähle ich auch die taz - kann ich diese Haltung gleich gar nicht verstehen: Wenn ich eine Situation ändern -verbessern - will, dann ist doch entscheidend wichtig, daß ich die Fakten genau kenne, daß ich genau weiß, wo eigentlich das Problem liegt. Wenn ich helfen will, dann muß ich doch genau wissen, WER Hilfe braucht!

     

    Hier mit dem Nebel-Begriff "Zuwanderer" weiter rumzulügen und Statistiken unbrauchbar zu machen, ist kontraproduktiv. Und peinlich. Denn im Grunde weiß längst jeder, daß alles ganz anders ist.

  • O
    otto

    Die Moslems sinds, Frau Yücel!

  • G
    Gregor

    Wo ist das Problem mit den Zahlen? Mit falscher Haut und ohne den deutschen Pass in Deutschland zu leben - ein Wunder dass die Zahlen keine Katastrophe sind. Doch egal wie die Zahlen sind, den Begriff Ausländer bzw. Einwanderer produziert in Deutschland eine mythenbildende Maschine, die wirklich deutsche Qualität der Unkaputtbarkeit hat. Darum sind alle solche Zahlen eher ein Produkt dieser mythenbildenden Maschine als Abbildung irgendeiner Realität.

  • ML
    martin luther

    Lustig die Überschrift zur Migration:

     

    "...türkt..."

     

    Eigentor Herr Yücel?