Kommentar Frankreich: Explosive Konsequenzen

In Frankreichs Arbeitnehmerschaft brodelt es. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise haben die Gewerkschaftsverbände auf Streiks verzichtet.

Erst das Bossnapping, jetzt die Sprengungsdrohungen: Frankreichs Lohnabhängige machen erneut durch spektakuläre Aktionsformen von sich reden. Dass es dazu kam, hat auch damit zu tun, dass die Gewerkschaften oder Beschäftigtenvertreter keine Möglichkeit mehr sahen, sich auf andere Weise Gehör zu verschaffen.

Jene Firmen, in denen jetzt explosive Konsequenzen für den Fall des Ausbleibens von Abfindungszahlungen angedroht werden, hatten alle Bankrott angemeldet. Das Management in diesen Sub- oder Zuliefererfirmen haftbar zu machen oder mit ihm zu verhandeln, hätte also keinen Sinn mehr gehabt.

Es ist jedoch nicht nur diese spezielle Situation, die zu den öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzungen in Einzelbetrieben führt. Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise haben die großen Gewerkschaftsverbände darauf verzichtet, das bestehende soziale Kräfteverhältnis auszunutzen.

Ende Januar und Mitte März nahmen jeweils über zwei Millionen Menschen an gewerkschaftlichen Demonstrationen teil. Doch die Dachverbände verschleuderten das Mobilisierungspotenzial. Sie beließen es bei folgenlosen Spaziergängen und riefen nicht zum Streik auf.

Einer der Gründe für das zahme Verhalten der Gewerkschaften liegt darin, dass derzeit über ihre rechtliche Vertretungsmacht bzw. ihre Tariffähigkeit verhandelt wird. Die Regierung will die "postkommunistische" Gewerkschaft CGT enger in die Verantwortung nehmen, um auf diese Weise betriebliche Entscheidungen besser legitimieren zu können. Und im Gegenzug zeigt diese sich "vernünftig".

Frankreichs Gewerkschaftsverbände schlagen damit mehrheitlich einen Weg ein, der dem der deutschen ähnelt: Eingebundene und wohl integrierte Interessenverbände stehen sich in einem ritualisierten Kräftespiel gegenüber, bei dem soziale Mobilisierung an der Basis und in der Gesellschaft nicht oder nur als Ultima Ratio angewendet wird. Es handelt sich nur um einen argumentativen Schlagabtausch der Tarifexperten beider Seiten, untereinander, am grünen Tisch und nach eingefahrenen Mustern.

Solche Stellvertreterpolitik, bei der die Basis passiv bleibt, funktioniert in Frankreich aus historischen Gründen bislang nicht so gut wie in Deutschland. Deswegen brodelt es an der Basis westlich des Rheins derzeit auch umso heftiger.

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