piwik no script img

Kommentar EU-AbschieberichtlinienRichtlinie der Schande

Kommentar von Gerhard Dilger

Die Lateinamerikaner sind auf ein demokratisches Europa angewiesen - gerade deswegen sind sie über die EU-Rahmenrichtlinie zur Abschiebung so wütend.

Die Europäische Union ist auf dem Holzweg. Jüngstes Beispiel ist die vom Europaparlament abgesegnete EU-Rahmenrichtlinie zur Abschiebung irregulärer Einwanderer. In Lateinamerika stieß die Maßnahme auf einhellige Ablehnung: Nicht nur Menschenrechtler, sondern auch Staatschefs und Minister verurteilten sie mit deutlichen Worten - quer durch das gesamte politische Spektrum.

Der lesenswerte offene Brief des bolivianischen Präsidenten Evo Morales gegen die "Richtlinie der Schande" wurde vor der Abstimmung von mehreren linksliberalen und linken Zeitungen Europas veröffentlicht. Morales erinnerte daran, dass Amerika jahrhundertelang Millionen Europäer aufgenommen hatte, die ihrer Heimat wegen wirtschaftlicher Not oder politischer Verfolgung den Rücken kehrten. Außerdem zeigte er auf, dass die EU-Richtlinie mindestens acht Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verletzt.

Umsonst - die EU setzt weiterhin auf Ausgrenzung und sieht über die Beschwerden von Evo Morales & Co hinweg.

Aufsehen erregte erst - wieder einmal - Hugo Chávez mit seiner eher symbolisch gemeinten Ölboykottdrohung. Der Venezolaner weiß nur zu gut, dass der Menschenrechtsdiskurs für die EU-Regierungen zu einem reinen Kampfmittel in der globalen Auseinandersetzung um Ressourcen und Märkte verkommen ist. Deswegen versucht er,

sie bei ihren Wirtschaftsinteressen zu piksen.

Auch die pragmatischen Brasilianer verweisen auf Risiken für die künftige Zusammenarbeit zwischen Europa und Lateinamerika. Dass die EU zuallererst um die Interessen ihrer Konzerne und Banken besorgt ist, erfahren die Latinos tagtäglich. Dennoch war Europa in den letzten Jahrzehnten die zivilste der wirtschaftlichen Großmächte. Denn weder die US-Politik der Militärinterventionen auf kleiner Flamme noch die aggressive Interessenpolitik Chinas eröffnet den LateinamerikanerInnen eine hoffnungsvollere Perspektive.

Die Lateinamerikaner sind auf ein demokratisches Europa angewiesen - gerade deswegen sind sie jetzt so wütend. GERHARD DILGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • KK
    Karl-Hans Keller, Dormagen

    Es geht nicht nur um Südamerika, auch um Afrika, von Europäern per Kolonialismus ausgebeutet, von Nordamerika per Menschenhandel geschädigt. Bitterste Not und Elend lassen Menschen ihre Heimat verlassen. Sie hoffen, in Europa zu überleben. Statt ihnen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben dort wo sie leben - und damit auch alte Schuld zu begleichen - rüsten wir uns mit Rüstungsmilliarden und menschenverachtenden Gesetzen auf. Das ist in gleichem Maße verwerflich und dumm, keine Invesition in ein friedliches Miteinander.