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Kommentar Duisburgs LoveparadeDie Schleier lichten sich

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Sechs Wochen nach der Katastrophe von Duisburg will noch immer keiner schuld sein. Dabei sind die wichtigsten Fehler schon zutage getreten. Eine vorläufige Bilanz.

Nicht genehmigungsfähig: Der tödliche Engpass der Loveparade. Bild: dpa

A uf die Tragödie folgt die Farce. Sechs Wochen ist es nun her, dass in Duisburg bei der Loveparade 21 junge Menschen zu Tode gedrückt und getreten wurden. Seit dem Tag der Katastrophe müssen ihre Angehörigen ein jämmerliches Schauspiel über sich ergehen lassen. Bis heute will niemand für das schreckliche Geschehen die Verantwortung übernehmen.

Veranstalter, Stadt und Polizei schieben sich stattdessen gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Statt Aufklärung zu betreiben, wird nur nach Beweisen zur eigenen Entlastung gesucht. Auch auf der mehr als sechsstündigen Sitzung des Innenausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags am Donnerstag wurde dieses schäbige Stück gespielt. Seine Mandanten seien fassungslos und angewidert, konstatiert der Opferanwalt und frühere Bundesinnenminister Gerhart R. Baum. Damit stehen sie nicht alleine. Denn es ist ja nicht so, dass die Ursachen für das Unglück immer noch völlig im Nebel lägen. Die Schleier lichten sich.

So steht inzwischen fest, dass der Veranstalter Lopavent das Partygelände zu spät geöffnet hat. Auch wenn strittig ist, wer hier hätte überprüfen müssen: Dass Sicherheitsauflagen nicht eingehalten wurden, ist zumindest erwiesen. So beseitigte der Veranstalter Zäune auf der Zugangsrampe zu dem ehemaligen Güterbahnhof nicht und schränkte dadurch Wege ein. An Zugangsschleusen fehlten überdies Ordner. Das führte bereits zu Beginn zu massiven Problemen mit der Besuchermenge.

Bild: taz

PASCAL BEUCKER ist NRW-Korrespondent der taz.

Außerdem versagte das Pusher-Konzept zur Verteilung der Besucher. Das Mitziehen der Raver durch die "Floats" genannten Musik-Lkws klappte nicht. Das trug zu einer "Pfropfenbildung" am Eingang bei. Als sich die Situation im Zugangsbereich zuspitzte, waren die eingesetzten Ordner völlig überfordert. Auch drei Polizeiketten konnten nicht für Entspannung sorgen. Stattdessen führten sie letztlich zur Eskalation. Bekannt ist inzwischen ebenfalls, dass in der entscheidenden Zeit die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen der Stadt, dem Veranstalter und der Polizei nicht funktionierte.

Fest steht auch, dass es nie und nimmer nur einen Zu- und Ausgang für die auf eine viertel Million Teilnehmer ausgelegte Veranstaltung hätte geben dürfen. Da hilft der Stadt Duisburg auch kein kostspieliges Gutachten, mit dem sie versucht, sich zu exkulpieren. Denn es mag ja sogar sein, dass die zuständigen Behörden formaljuristisch korrekt gehandelt haben, als sie dieses aberwitzige Konzept genehmigten. Aber deswegen handelten sie trotzdem noch nicht richtig.

Es ist nur noch zynisch, wenn die Duisburger Stadtspitze behauptet, der Vorwurf, die genehmigte Besucherführung wäre nicht geeignet gewesen, sei "nicht durch Tatsachen belegt". Das trifft auch auf deren Behauptung zu, gesonderte bauliche Prüfungen der Rampe und des Tunnels seien nicht erforderlich gewesen, "da die Bauaufsicht dort keine Gefahr vermuten musste".

Das Agieren der Duisburger Stadtspitze dokumentiert in erschreckender Weise, wie sehr es ihr an empathischer Kompetenz mangelt. Alleine das würde schon als Grund für einen Rücktritt ausreichen.

Doch stattdessen ergeht sich Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland in Selbstmitleid - als sei er das Opfer, nicht die vielen Toten und die mehr als 500 Verletzten. Eisern klammert er sich an seinen Posten, unterstützt von seiner Partei, aber erschreckenderweise auch von der Spitze der grünen Ratsfraktion in Duisburg und dem grünen Stadtdirektor Peter Greulich.

Der hielt es erst fünf Tage nach der Katastrophe für nötig, aus seinem Urlaub zurückzukehren. Jetzt ist er Sauerlands engster Verbündeter im Kampf gegen die Realität. So wird der Abwahlantrag gegen Sauerland am kommenden Montag im Stadtrat wohl an einer Mischung aus persönlicher Loyalität und politischem Opportunismus scheitern. Man kann es auch Opferverhöhnung nennen.

Nun ruhen alle Hoffnungen auf den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Doch allzu hoch sollten die Erwartungen nicht sein. Die Beweisführung konkreter Schuld wird nicht einfach werden. So wie bei der fürchterlichen Brandkatastrophe der Gletscherbahn in Kaprun im November 2000. Bei der größten Katastrophe in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg starben 155 Menschen. Die Strafprozesse endeten mit Freisprüchen.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.

13 Kommentare

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  • A
    anni2010
  • VZ
    Volks Zorn

    Am Sonntag gibt es im Landschaftspark Nord, Kraftzentrale die Sinfonie der 1000, ein Ruhr2010 Highlight, Gustav Mahlers 8. Sinfonie.

     

    Es kommen Sauerland (!), Bundespräs. Wulff, der sein Kommen erst deswegen abgesagt hatte, Ministerpräs. Kraft, VIPs ohne Ende u.a. Politiker.

     

    Die Gelegenheit! Leute geht dahin!!!

     

    Pleitgen hatte die Hinterbliebenen als Ehrengäste eingeladen!

     

    Diese sollen sich folgendes anhören:

     

    „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis; Das Unbeschreibliche, hier ist´s getan.“

     

    Das muss man allen dort entgegen bruellen!

     

    Seien Sie ab 17 Uhr dort, wenn möglich!

  • W
    Wischi-Waschi

    Alles Wischi-Waschi. Wäre dies ohne den Tunnel passiert? Nein. Wer immer so einen Tunnel als Zu- und Abgang genehmigt hat, hat schuld. Alles andere ist ...s.o. : Wischi-waschi.

    Genau dieser Tunnel aber ist (oh Zufall!) ganz aus der Diskussion.

  • GO
    George Oberle

    In dem Artikel ist vergessen worden daran zu erinnern, dass die Polizei durch ihre Absperrungen an den Rampen das Chaos zu verantworten hatte: hätte sie an den äußeren Tunneleingängen die Absperrungen errichtet, wäre wahrscheinlich niemand zu Schaden gekommen.

  • F
    fridolin

    Bekannt ist mittlerweile auch,daß übereilige, die Absperrungen gestürmt haben.

    Und das nicht weil ein lebensbedrohlicher Notstand entstanden ist,sondern weil die Raver aufs Gelände wollten.

  • E
    emil

    was so eine party firma treibt - okay.

     

    aber auf der anderen seite eine kommune samt oberhaupt? das sind volkvertreter! höchste zeit, dass sich der mob derer mal habhaft macht. es ist unerträglich solche unholde in unserem rechtstaat die hand zu schütteln.

  • H
    hto

    "Tragödie" = tragische Komödie: "Die Schleier lichten sich" - Wenn ich auf eine Großveranstaltung gehe, dann weiß ich GRUNDSÄTZLICH: "Wer sich in Gefahr begibt, der kann darin umkommen."!?

     

    In diesem Fall, wo offensichtlich genügend Fehler / Kompromisse gemacht wurden, sollten Stadt, Polizei und Veranstalter zu gleichen Teilen die Verantwortung ... - das passt allerdings nicht zum "gesunden" Konkurrenzdenken des "freiheitlichen" Wettbewerbs in gebildeter Suppenkaspermentalität!?

  • L
    Lektor

    Einverstanden, klar.

    Nur bitte "empathische Kompetenz" und nicht "emphatische"...

  • M
    Marek

    Gut zusammengefasst. Erwähnenswert wäre noch, dass sowohl Fachleute wie auch interessierte Laien v o r der Veranstaltung gewarnt hatten und dies das Versagen von Stadt und Veranstalter gravierender macht. Auch das allein würde den Rücktritt von OB und dessen Sicherheitsdezernenten rechtfertigen.

     

    Marek Lieberberg sagte schon am Folgetag des Unglücks dass nur ein Eingang, der auch noch Ausgang ist eigentlich nicht legal ist. Und dass 1000 Ordner viel zu wenig gewesen seien (4-5000 wären angemessen). Hoffentlich wird irgendwo eine Rechtsnorm gefunden anhand derer man Schaller verurteilen kann. Denn Vermögen genug hat er und kann dann wieder bei Null anfangen. Das können die Toten nicht mehr.

     

    Aber die Befürchtung, dass die Opfer und ihre Hinterbliebenen leer ausgehen, isr berechtigt. Auch die im Falle Sheffield von 1989 gab es keinen (verurteilten) Schuldigen. Und der Fall hat einige Parallelen (Drängeln am Einlass, ein Tunnel und überforderte Sicherheitskräfte). Aber während die Fussballverbände aus dieser Tragödie gelernt haben scheinen diese Erkenntnisse an Schaller, Sauerland und deren Leute vorbei gegangen sein.

  • I
    Immerwiedergern

    Es geht ihr nicht um Wahrheit, sondern um Geld.

    Die Veranstalung war einem anderen Bericht zufolge "unterversichert", d.h. sobald die Schuldfrage geklärt ist erwarten den Schuldigen hohe Schadensforderungen. Diese Tatsache wissen alle Beteiligten die sich im Moment die Verantwortung zuschieben, auch wenn das dem Bürger nicht kommuniziert wird.

    Die Zeiten sind vorbei, in denen die Verantwortlichen mit einer 08 ihre Ehre retteten.

  • UR
    Udo Radert

    Ein wirklich guter Beitrag, man wird endlich mal umfassend und sachlich (aber trotzdem nicht ohne die, bei dieser Katastrophe gebotene menschliche Nähe) über den aktuellen Stand informiert.

     

    Gerade letzteres ist auch einer der Gründe, warum ich die Artikel von Herrn Beucker ganz gerne lese.

     

    Aber trotzdem fehlt mir bei einem Punkt dann doch noch etwas mehr Hintergrund, wenn er schreibt:

     

    "Eisern klammert er [OB Sauerland] sich an seinen Posten, unterstützt von seiner Partei, aber erschreckenderweise auch von der Spitze der grünen Ratsfraktion in Duisburg und dem grünen Stadtdirektor Peter Greulich.

     

    Der hielt es erst fünf Tage nach der Katastrophe für nötig, aus seinem Urlaub zurückzukehren. Jetzt ist er Sauerlands engster Verbündeter im Kampf gegen die Realität."

     

    Mir fehlt hier, kurz gesagt, eigentlich noch das *warum*. Warum tut Greulich [nomen est omen?] das?

  • D
    Donnergott

    Man sollte nicht vergessen,

    dass die Stadt pro Love-Parade entschieden hat!

     

    Das geschah teilweise - möglicherweise - aus Prestigegründen,

    aber auch, um den Leuten den Spaß nicht zu nehmen,

    die feiern wollten.

     

    Dass etwas passiert, was passiert ist,

    hat mit größter Sicherheit niemand gewollt.

     

    Deswegen sollte man die Kirche mal im Dorf lassen.

    Mittlerweile wissen wir es alle besser.

     

    Deswegen wird Ähnliches in der Zukunft auch nicht mehr passieren, denke ich.

     

    Es war ein tragisches Unglück,

    was sich in der Form nicht mehr wiederholen wird.

     

    Und:

    Menschen müssen andere Menschen nicht totquetschen,

    wenn sie sich vernünftig verhalten.

    Genauso, wie niemand bis an die Stoßstange des Autos vor ihm/ihr fahren muss auf der Autobahn.

    Trotzdem tun das sehr viele jeden Tag.

     

    Hauptschuld hat der Egoismus der Menschen,

    das meine ich.

  • R
    Ron777

    Wieso schreibt nicht endlich auch mal eine Zeitung, dass letzten Endes in diesem Fall die Polizei Mist gebaut hat. Erst durch die Polizei-Sperren kam es zur Aufstauung und zum Chaos.