piwik no script img

Kommentar Dalai Lama-Besuch in DeutschlandBitte nur am Katzentisch Platz nehmen!

Kommentar von Christian Semler

Der Dalai Lama hält sich bei der Frage nach territorialer Autonomie Tibets bedeckt. Die Mehrheit der Chinesen wiederum verteidigt die Landeseinheit. Da ist Zurückhaltung geboten.

W er darf bei uns in welcher politischen Funktion den Dalai Lama empfangen? Position eins: Der Einsatz für die Menschenrechte gegenüber autoritären Regimen kann nur mittels stiller Diplomatie, die das Gesicht des Gegners wahrt, zum Erfolg führen. Position zwei: Nur deutliche Worte verschaffen Respekt. Hierzu gehören auch symbolische Gesten wie der Empfang des Dalai Lama durch die deutsche Staatsführung.

Zweifellos haben in den Auseinandersetzungen der 80er-Jahre um die Politik gegenüber den realsozialistischen Regimen die Anhänger des offenen Wortes" recht behalten. Aber daraus folgt wenig für die heutige deutsche Politik in der Tibetfrage. Damals ging es um die Einhaltung der Individualrechte im Einklang mit dem Helsinki-Abkommen, heute geht es um Kollektivrechte als Minderheitenrechte.

Der Dalai Lama betont, dass er für die Tibeter nur die religiöse, kulturelle und soziale Autonomie innerhalb Chinas einfordere. Hinsichtlich des räumlichen wie des sachlichen Geltungsbereichs dieser Autonomie gibt es aber von seiner Seite keine präzisen Aussagen. Zudem betreibt ein Teil der tibetischen Exilanten die Loslösung Tibets aus dem chinesischen Staatsverband. Wie agieren, wenn diese Tendenz überhandnimmt? Deren Unterstützung wäre eindeutig völkerrechtswidrig.

Aber auch unabhängig von solchen Rechtsfragen müssen sich unsere Politiker vor Augen führen, dass die Einheit Chinas einschließlich Tibets von der großen Mehrheit der chinesischen Bevölkerung verteidigt wird. Chinas Regierung drückt hier nur die traumatischen Erfahrungen während der Zeit des staatlichen Zerfalls und der Fremdherrschaft im 20. Jahrhundert aus. Dies vor Augen, sollte deshalb gelten: Eintragung des Dalai Lama ins Goldene Büchlein der Stadt Bochum jederzeit. Aber Zurückhaltung bei allzu symbolgeladenen politischen Gesten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • TM
    Tamara Musfeld

    Sehr geehrter Herr Semler,

    ganz wie es in der TAZ üblich ist wird die Tibet Frage gänzlich anders behandelt, als andere Konflikte ähnlicher Art. Würden Sie auch, wenn es um die politischen und kulturellen Rechte der Kurden in der Türkei geht - um nur ein Beispiel von vielen zu nennen- für Zurückhaltung plädieren? Wären auch dann Menschenrechtsverletzungen, Verhaftungen, Folter, Unterdrückung von eigener Sprache, Kultur und Religion nicht als Individualrechte anzusehen, deren Gewährung man lautstark fordern müsste? Und ist es nicht auch in der Türkei so, dass die meisten türkischstämmigen Bürger nicht unbedingt an den Rechten der Kurden interessiert sind?

    Dennoch vermute ich, dass die TAZ sich immer dafür stark gemacht hätte, die Missstände laut anzusprechen. Was erschwert es in diesem Fall so sehr diese Position zu unterstützen? Woher auf einmal die Vorliebe für Leisetreterei?

    Was auch immer die Wurzeln sind, es ist bedauerlich.