Kommentar Dalai Lama-Besuch in Deutschland: Bitte nur am Katzentisch Platz nehmen!
Der Dalai Lama hält sich bei der Frage nach territorialer Autonomie Tibets bedeckt. Die Mehrheit der Chinesen wiederum verteidigt die Landeseinheit. Da ist Zurückhaltung geboten.
W er darf bei uns in welcher politischen Funktion den Dalai Lama empfangen? Position eins: Der Einsatz für die Menschenrechte gegenüber autoritären Regimen kann nur mittels stiller Diplomatie, die das Gesicht des Gegners wahrt, zum Erfolg führen. Position zwei: Nur deutliche Worte verschaffen Respekt. Hierzu gehören auch symbolische Gesten wie der Empfang des Dalai Lama durch die deutsche Staatsführung.
Zweifellos haben in den Auseinandersetzungen der 80er-Jahre um die Politik gegenüber den realsozialistischen Regimen die Anhänger des offenen Wortes" recht behalten. Aber daraus folgt wenig für die heutige deutsche Politik in der Tibetfrage. Damals ging es um die Einhaltung der Individualrechte im Einklang mit dem Helsinki-Abkommen, heute geht es um Kollektivrechte als Minderheitenrechte.
Der Dalai Lama betont, dass er für die Tibeter nur die religiöse, kulturelle und soziale Autonomie innerhalb Chinas einfordere. Hinsichtlich des räumlichen wie des sachlichen Geltungsbereichs dieser Autonomie gibt es aber von seiner Seite keine präzisen Aussagen. Zudem betreibt ein Teil der tibetischen Exilanten die Loslösung Tibets aus dem chinesischen Staatsverband. Wie agieren, wenn diese Tendenz überhandnimmt? Deren Unterstützung wäre eindeutig völkerrechtswidrig.
Aber auch unabhängig von solchen Rechtsfragen müssen sich unsere Politiker vor Augen führen, dass die Einheit Chinas einschließlich Tibets von der großen Mehrheit der chinesischen Bevölkerung verteidigt wird. Chinas Regierung drückt hier nur die traumatischen Erfahrungen während der Zeit des staatlichen Zerfalls und der Fremdherrschaft im 20. Jahrhundert aus. Dies vor Augen, sollte deshalb gelten: Eintragung des Dalai Lama ins Goldene Büchlein der Stadt Bochum jederzeit. Aber Zurückhaltung bei allzu symbolgeladenen politischen Gesten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn