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Kommentar BildungspaketNicht die Norm

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Ursula von der Leyen zeigt sich selbstbewusst. Aber die Politik misstraut Hartz-IV-Eltern und setzt dem Klischee der Abzocke nichts entegegen.

E s ist eines der wichtigsten Prestigeprojekte der schwarz-gelben Koalition. Und hier insbesondere das der CDU-Arbeitsministerin: das Bildungspaket für ärmere Familien. Mit den 426 Millionen Euro jährlich soll Kindern geholfen werden, deren Eltern sich das Schulmittagessen, die Musikschulstunde oder die Klassenfahrt nicht leisten können.

Ursula von der Leyen hat sich am ersten Jahrestag des Inkrafttretens selbstbewusst gezeigt. Obwohl nur gut jede zweite berechtigte Familie diese Hilfen in Anspruch nimmt, sagt die Ministerin im Brustton der Überzeugung, dieses Projekt sei „aus dem Gröbsten raus“. Ein Satz mit einem solchen maternalistischen Tonfall stößt auf. Er macht, dass man den Ausführungen der Frau Ministerin nur halb glaubt. Denn der Skandal an diesem Hartz-IV-Paket ist doch, dass Unterprivilegierte kein Bargeld bekommen für ihre Kinder, sondern zu Bittstellern degradiert werden. Der Skandal ist, dass der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern zutiefst misstraut.

Es mag sein, dass es Hartz-IV-Eltern gibt, die sich vom Kindergeld teure Handys kaufen oder sich bizarre Nagelmodellagen applizieren lassen. Die nicht ihrem Sohn, ihrer Tochter passendes Sportzeug oder die Kinokarte bezahlen. Die gibt es.

Bild: Archiv
ANJA MAIER

ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.

Aber die Norm sind sie nicht. Aus der anhaltenden Untätigkeit der Bundesregierung entstehen doch erst derlei Ungerechtigkeiten. Und, nicht zu vergessen, bürokratische Monster, die, sich selbst finanzierend, die Armut verwalten.

Die Politik könnte dem etwas entgegensetzen. Zum Beispiel den gesetzlichen Mindestlohn einführen, damit Eltern nicht zu „Aufstockern“ werden, weil das Geld nicht reicht. Die Politik könnte Kindern endlich einen angemessenen Hartz-IV-Satz zusprechen. Aber Schwarz-Gelb tut es nicht. Und die große Koalition hat es auch nicht getan. Das Misstrauen, es ist zu groß.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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12 Kommentare

 / 
  • I
    Ich

    Sehr geehrter Erde-an-TAZ-Leser

     

    bitte bedenken Sie, daß mit dem Bildungspäckchen genau die Probleme, die Sie mit der Fachkräftesuche haben, an die nächste Generation weitervererbt werden. Hier wird Kindern per Gesetz von klein auf klargemacht, daß niemand sie will und niemand sie braucht außer als Prügelknaben der Nation.

     

    Leider findet Qualifikation für Arbeitssuchende Menschen bis auf wenige Ausnahmen schlicht und ergreifend nicht statt, so daß selbst die, die gerne jeden Strohhalm ergreifen würden, keine Chance bekommen.

     

    Vieleicht mögen Sie mir unter mail-an-wirklich@gmx.de eine kurze Informationp zu Ihrer Firma/den gesuchten Fachkräften geben?

  • W
    wauz

    Welches Kindergeld?

     

    Das Kindergeld wird zwar formal gezahlt, aber bei der Sozialhilfe für die Kinder berücksichtigt. Das bedeutet, faktisch gibt es kein Kindergeld. Das Geld, das für die Kinder gezahlt wird, kann man nur dann anderweitig verwenden, wenn man die Kinder entweder hungern und frieren lässt, oder anderweitig an die für sie benötigten Bedarf kommt. Teure Kosmetik kann man aber auch anderweitig geschenkt bekommen. Das ist nicht illegal, solang man kein Geld annimmt.

    Auch Anja Maier sitzt den sattsam bekannten Klischees auf.

     

    Mehr RECHERCHE liebe tazler!

  • E
    Erde-an-TAZ-Leser

    Gelegentlich schaue ich gerne in das Mußeblatt der Linksalternativen, um mich zu gruseln. Der Kommentar und die Leserreaktionen sind ein gutes Beispiel. -cut- Ich bin im mittleren Management im Technologiebereich mit Personalverantwortung. Wir suchen händeringend nach Personal. Man verdient hier problemlos 60 TEuro plus pa. Allein: es finden sich keine Angestellten, denen man die Aufgaben übergeben könnte: es mangelt an Qualifikation und Zuverlässigkeit. Heute haben die Chinesen Putzmeister aufgekauft. Der Grund: Europäische Unternehmen sind im Wert in den letzten Jahren durch die Staatsverschuldung massiv gefallen. Der Ausverkauf beginnt. Im Schnitt liegt der Anteil eines Unternehmensgewinns bei 3 %, die der Kapitalakkumulation zugeführt werden. Gut, da entstehen ein paar Manager mit Spitzengehältern und ein paar Superreiche. Aber: Die Staatsquote liegt in Deutschland bei 45 % - in China liegt sie bei 25 %. Und der Großteil dieses Geldes geht in den Sozialhaushalt. Merken sie was? Gerade in Berlin bestehen hunderttausende intelligenter junger Menschen darauf "irgendwas mit Kultur" machen zu müssen. Diese Menschen kosten der Wirtschaft nicht nur Geld, sondern sie fehlen auch noch als Arbeitnehmer. Märkte wandern aus beiden Gründen nach Asien ab. Auch 1000 Sätze, die mit "ja aber" anfangen, können daran etwas ändern. -cut- Der Staat misstraut Hartz IV Empfängern, Skandal, wettert man bei der TAZ. Ja, das Leben ist hart mit Hartz IV. Aber aus meiner Sicht kann ich nur sagen: noch lange nicht hart genug! Und wer da meint, jeder habe das Recht dazu, unbedingt das zu machen, wozu er/sie Lust hat, statt sich einem Mark zu stellen, wird ein blaues Wunder erleben. Denn mit jedem Cent, mit dem man Hartz IV Transfergelder zum Konsum nutzt, baut man den Sozialstaat faktisch ab. Der Ausverkauf deutscher Unternehmen ist ein Anfang eines Prozesses, an dessen Ende es keinen Sozialstaat mehr geben wird. Das ist ein Naturgesetz: die Starken fressen die Schwachen. Da kann man auch versuchen, seine hergeleiteten Ansprüche auf Sozialleistungen mit einem Kometen zu diskutieren, der auf die Erde niederstürzt - Manche Axiome stehen über Recht und theoretischem Anspruch. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit wird besonders in Berlin noch sehr viel härter. Bis dahin kann man sich gerne aufregen, dass der Bildungszuschlag nicht als faktische Hartz IV Erhöhung ausgezahlt wird... Sowas aber auch!

  • N
    Nemo2011

    Netter Kommentar von der Frau Maier. Misstrauen gegenüber den Eltern greift aber zu kurz. Von der Leyen ist gierig nach Macht und dafür ist ihr wirklich jedes Mittel recht. Hauptsache, sie kann sich in den Medien als Super Nanny präsentieren. Natürlich gibt es viele Leute, welche diese Masche längst durch schaut haben, aber mit Blick auf die letzten Wahlen, sind es noch immer zu wenige Leute.

  • MX
    Mister X

    Es ist kein Misstrauen der Politiker. Es sind unbegründete Vorurteile von Menschen, die schon lange nicht mehr wissen, wie es in diesem Land wirklich aussieht.

  • H
    Hasso

    Ich, meinerseits, glaube, dass man den "Armen" mehr trauen kann, als den meisten Politikern. Wären sie unanständig, dann wären sie nicht so arm. Die meisten werden reich,indem sie Leute mit weniger krimineller Energie übervorteilen. Hinter jedem großen Kapital,steht zumindest ein kleines Verbrechen.Würde man in den Bundestag rufen: "Alle anständigen Politiker sitzen bleiben", wäre das Plenum fast leer.Das ist nämlich des Pudels Kern: Wer sich selbst nicht traut, der traut anderen auch alles zu.Und außerdem die Arroganz und Selbstüberschätzung der von der Leyen ist fast nicht zu überbieten.

  • S
    Schröer

    Das Bildungspaket ist die reine Verarschung.

    !!!10,- € im Monat!!!

     

    Die Englisch-Stunde einmal wöchentlich im Kindergarten kostet schon 30,- € im Monat.

    Wir haben im September 2011 beantragt und erst nach dreimaligem Nachharken im März die erste Zahlung bekommen.

    Dafür mussten wir zwei Bescheinigungen vorlegen, vom Kindergarten und von der Englischlehrerin.

     

    Viele Eltern verzichten lieber auf die scheinheiligen Brosamen, als ihre Kinder zu outen.

     

    Hartz 4 ist verfassungswidrig und diskriminierend.

    Nachher hat wieder keiner etwas gewusst!

  • L
    libra12

    Sie vergessen: Mehr Geld in's Bildungssystem! Eine angemessene "Lehrerdichte" auch an Schulen, die nicht Gymnasien sind und nicht in Gemeinden stehen, deren Bevölkerung überwiegend wohlhabend ist. Außerdem: verbindlicher Nachmittagsunterricht, ein offenes Nachhilfeangebot und auch Angebote für kostenlosen Musikunterricht (ect.) an Schulen. Der Beispiele gäbe es bestimmt genug, wie Kinder gefördert werden können, ohne den Eltern das Geld in die Hand zu geben. Allein: gemacht wird hier NICHTS. Ist erstens vermutlich zu teuer, zweitens das Thema ein willkommener Anlass, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu stigmatisieren und das Thema Bildung zum Zwecke der politischen Profilierung zu gebrauchen, ohne dabei wirklich etwas zu bewegen. Denn bestimmte Kreise haben gar kein Interesse an gleichen Bildungschancen für Alle.

  • T
    tageslicht

    Es ist in meinen Augen völlig berechtigt, dass der Staat an diesem Punkt seinen Bürgern misstraut. Seien wir mal ehrlich: Letzten Endes denkt jeder Mensch zunächst mal an sich selbst. Klar ist es unschön, dass Eltern zu Bittstellern werden, aber das ist ja schon bei dem "normalen" Hartz-IV-Bezug nicht anders, was schlimm genug ist. Letztlich wird Kindern damit geholfen, und wenn nur jede zweite berechtigte Familie die Leistung in Anspruch nimmt, heißt das für mich nicht, dass das Paket ein Fehler ist oder schlecht umgesetzt wurde, sondern dass scheinbar jede zweite berechtigte Familie nicht alles für ihre Kinder zu erreichen versucht. Eine konträre Sichtweise zu Ihnen, aber deshalb unberechtigt?

  • Q
    "Bittstellerin"

    Guter Kommentar! Danke

     

    Ich selbst kenne zwar etliche Antragstellerfamilien, gehöre selbst auch dazu, aber keine Familie davon versäuft das Geld oder geht dafür ins Solarium oder ähnliches. Im Gegenteil: Hier geht alles Geld in die Kinder! Meist bleiben die Eltern eher auf der Strecke und besinnen sich auf ein einfaches, aber erfülltes Leben (ohne Kino, Essen gehen etc.).

  • D
    Detlev

    Wenn Deutschland tatsächilch große Probleme hat, qualifizierten Nachwuchs zu finden, dann sollten Gelder für Kinder und Jugendliche doch kein Problem für die Politik darstellen - oder?

     

    Diese Ministerin sagt einfach nicht die Wahrheit. Von Anfang an ist dieses Paket unter einer Sparidee entstanden: Es ist billiger die Leute mit Anträgen und verschlagenen Jobcenter-Mitarbeiterin zu konfrontieren, als die Gelder direkt auszuzahlen. Außerdem bleiben viele Familien auf den Kosten auch sitzen. Wenn der Sohn oder die Tochter gut in der Schule ist, gibt's eben keine fachgerechte Nachhilfe in Englisch, Französisch oder Mathe, denn Bedarf besteht ja erst bei Versetzungsgefahr.

     

    Das ist zynisch und wenn der Rest der CDU-FDP-Show stimmt, dann wohl im Widerspruch zu den anderen Statements...

  • F
    Fragesteller

    Wurde unter Schwarz-Gelb nicht der Hartz4-Satz erhöht? Also der Hartz4-Satz der von SPD und Grünen überhaupt erst eingeführt wurde?