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Kommentar Armenien-TürkeiGemeinsame Bergtour

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die langjährige Feindschaft zwischen Armenien und der Türkei scheint zu Ende zu sein. Beide Länder wollen die Grenze öffnen. Was bleibt ist eine unaufgearbeitete Völkermord-Debatte.

Z war langsam, aber es geht voran. Schon seit Jahren wird über eine Öffnung der türkisch-armenischen Grenze spekuliert. Jetzt ist erstmals verbindlich vereinbart worden, dass die zwei Länder diplomatische Beziehungen aufnehmen werden und kurz darauf die Grenze öffnen wollen.

Bild: taz

Jürgen Gottschlich ist Türkei-Korrespondent der taz.

Das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten ist aus zwei Gründen vergiftet: der Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich und der Krieg zwischen Armenien und dem eng mit der Türkei verbundenen Aserbaidschan. Der endete mit der Eingliederung Karabachs in Armenien und der Besetzung weiterer Gebiete Aserbaidschans. Die Türkei schloss deshalb 1993 die Grenze.

Dass es nun trotz der anhaltenden Besetzung von Teilen Aserbaidschans zu einer Normalisierung zwischen der Türkei und Armenien kommen soll, liegt an den großen Vorteilen, die sich beide Länder davon versprechen. Armenien ist im Kaukasus der letzte isolierte Satellit Russlands. Das Land braucht dringend eine offene Grenze nach Westen, sonst kommt es wirtschaftlich nie auf die Beine.

Auf der anderen Seite wird die "Völkermord"-Debatte für die Türkei immer belastender, weil es das Land bei seinen wichtigsten Verbündeten desavouiert. Für die Grenzöffnung ist Armenien bereit, mit der Türkei über den Genozid zu diskutieren.

Bleibt die Karabach-Frage. Die Türkei und die USA drängen Armenien, wenigstens einen Teil des besetzten aserischen Landes zurückzugeben. Für die türkische Regierung würde es schwierig, die Grenze zu öffnen, ohne ein Zeichen des guten Willens der Armenier gegenüber Aserbaidschan. Der Vertrag erhöht nun den Druck, Kompromisse zu machen. Ein großer Erfolg wäre, wenn über eine Einigung zwischen der Türkei und Armenien auch der Karabach-Konflikt einer Lösung näher käme: Die Kriegsgefahr im Kaukasus würde sinken.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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4 Kommentare

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  • EA
    ernst august

    herr lehnert ist zwar kein muttersprachler, weiß aber offensichtlich, das nichts erhellendes in der türkischen literaturlandschaft zu erfahren ist. geben sie mal bei amazon o.ä. türkischen anbietern ermeni sorunu ein, dann finden sie an die 100 neuerscheinungen zu diesem thema, die sich mit quellen beschäftigen, die einem monolingualen deutschen leser niemals auftun würden. warum auch, waren es doch die deutschen, die das oberkommando über die osmanen hatten und rieten, die armenier vorneweg marschieren zu lassen.

    jedenfalls gibt es von mehmet perincek ein aktuelles buch hierüber, indem quellen aus dem russ. staatsarchiv dem leser vorstellt.

    ps. man kann auch mittlerweile den google-translater fürs türkische benutzen.

    in diesem sinne

    lesen gefährdet vorurteile und massenmedienbedingte DUMMHEIT!!!

  • JL
    Jorg Lehnert

    Türkisch lesen? Sehr geehrter Herr Ernst August, Bildung schadet nie und ich kann jedem nur gratulieren, wer es als nicht Muttersprachler schafft, Türkisch so gut zu lernen, dass man Bücher in dieser Sprache lesen kann. Zum Thema Völkermord an den Armeniern ist allerdings aus türkischen Büchern nichts Erhellendes zu erfahren. Trotz erster vorsichtiger Anzeichen für eine Öffnung bei diesem Thema ist es nach wie vor Staatsdoktrin, dass es einen solchen Völkermord nie gegeben hat. Das ist absurd, was außerhalb der Türkei bzw. des Staatstürkentums auch allgemein anerkannt ist. Man stelle sich einmal vor, die deutsche Position zum Holocaus wäre, dass es im Krieg eben auch jüdische Tote gegeben habe, sehr bedauerlich, aber im Krieg geschähen eben schlimme Sachen. So etwas ist einfach in Deutschland undenkbar. Die Türkei hingegen beharrt seit Jahrzehnten auf einer vergleichbaren Position. Da hilft auch kein Türkisch lesen.

  • LS
    Leo Schmidt

    Armenische Massaker 1992 an Azerbaican

     

    Wieso werden eigentlich generell die Massaker von Armenien an seinen Nachbarn Azerbaican in den Medien totgeschwiegen oder umschrieben ?

    wie kommt es ,dass armenien 1992 sein Nachbarland überfällt, massenweise menschen abschlachtet , millionen vertreibt , und dessen Gebiet gegen Völkerrecht besetzt hält ???

    Wieso wird das hier nicht erwähnt.

    Das passiere nicht vor 1000 jahre, nein. vor nicht langer Zeit.

  • EA
    ernst august

    warum soll eine historikerkommsion über den genozid diskutieren, gottschlich ist doch ausgewiesener experte und wiederholt, wie alle in der Medienindustrie, den sog. genozid.

    Tipp: türkisch lesen lernen (nicht nur essen und trinken) und mal ein paar kritische bücher zu diesem thema zu gemüte führen, auch wenn es einfacher ist NTV o.ä. Medien zu reproduzieren.

    Weiterhin guten Appetit Herr Götschlich