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Kommentar ArbeitVerdeckter Wandel

Kommentar von B. Dribbusch

Wer Arbeit hat, hat noch lange keine ausreichende Altersvorsorge: Nur ein Beispiel dafür, auf welch tönernen Füßen das deutsche Jobwunder steht. Immer mehr schlecht bezahlte Teilzeitarbeit.

S o scheinbar unvorhersehbar die Finanzkrise über uns kam, so vergleichsweise überraschend zeigt sich in Deutschland nun die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Obwohl die Kurzarbeit zurückgeht, bleiben die oft beschworenen Massenentlassungen aus. Das ist gut, aber nicht ungefährlich: Leicht trübt sich der Blick auf das, was sich bei den Arbeitsbedingungen auf dem Jobmarkt tut; dort zählen nicht nur platte Quantitäten.

Gutbezahlte Stellen in der Industrie, meist in Vollzeit, schrumpfen. Neue Jobs im Sozial- und Gesundheitswesen, oft Teilzeit, eher schlecht bezahlt, wachsen aus dem Boden, dies zeigt der aktuelle Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit. AltenpflegerInnen etwa werden von den Heimen händeringend gesucht.

Ja, muss man also zugeben: Es gibt Arbeit. Die Frage ist, welche und zu welchen Bedingungen. Diese Perspektive ist kein Luxus, wenn viele befristet Beschäftigte heute nicht mehr vom Kündigungsschutz profitieren, wenn das Gehalt für eine private Altersvorsorge und manche Gesundheitsleistungen nicht ausreicht und übrigens auch ein Mindestlohn nicht dazu führt, dass man am Ende des Arbeitslebens eine Rente hat, die höher ist als Hartz IV.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz.

Arbeit zu haben, verschafft heute nicht mehr automatisch ein Gefühl von Sicherheit. Es kann auch ein Quell der Prekarität, sogar der Demütigung sein. Die Warenhauskette Kaufhof schlug ihren Angestellten kürzlich trotz guter Geschäftszahlen vor, die Arbeitszeiten unentgeltlich um viereinhalb Stunden in der Woche zu verlängern, gegen eine schlichte Beschäftigungsgarantie. Die Aufgabe wird also sein, die Maßstäbe für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik zu erweitern, über die Arbeitslosenzahlen hinaus - gerade weil der befürchtete Schrecken in der Statistik bisher ausgeblieben ist.

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9 Kommentare

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  • C
    claudia

    @Hanns:

    >>und leider auch FDP

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass ausser ein paar sehr sehr fortgeschrittenen Mathematikern Zahlen wie: 7 Milliarden Erdbewohner,

    80 Millionen Einwohner der BRD, 3,8 Millionen Arbeitslose, 70 Milliarden € Verluste der Landesbank NRW, das Vorstellungsvermögen der Rezipienten derartig übersteigt, dass der "Schrecken der Statistik" der Wahrnehmung entwischen kann. Der Gleichmut, mit dem Wirtschafts- und Finanzmathematiker die Auswirkungen der Volkswirtschaft aus den Lehrbüchern in großen Zahlen in der Wirklichkeit anrichten, behandeln, sorgt für die Beschränkung auf "ein paar".

    Die Methode der Empathie über eins zu eins Identifikation, in den Medien viel verwendet, hat sehr sehr gravierende Mängel.

  • W
    Wolfgang

    Deutschlands liebstes Behördenkind sind die Statistiken. Sie stimmen nie, sie werden stimmend gemacht. Glaube und Statistik haben eine Gemeinsamkeit: die gemeinsame Fälschung.

  • K
    kassandro

    sie,frau dribbusch haben ein mitfühlendes herz und sehen und verschweigen nicht die krisenbedingten brutalisierungstendenzen in der brd auf kapitalistenseite.

    die lohnabhängigen werden zusehends zum freiwild bei einstellung, arbeitszeit, kündigungsschutz und höhe des lohnes usw.

     

    bis zur stagflationskrise in den 70.jahren gab es noch sichere arbeitsplätze im real existierenden kapitalismus-allerdings mit abnehmender tendenz:

     

    durch konkurrenz u.verwissenschaftlichung vorangetriebene technologische arbeitslosigkeit -begonnen schon ende der 50. jahre- hielt sich da noch in grenzen und die damit einhergehende mehrwertschöpfung war noch so groß, daß es auch für die industriekapitalisten notwendig war, die zu melkende kuh proletariat, langfristig zur verfügung zu halten. aber selbst damals mußte die "kuh" ihre relative soziale sicherheit teils mit politischen streiks erkämpfen.

     

    mit weltweit abnehmender mehrwertproduktion aber wächst, konkurrenzbedingt, der druck auf die kapitalisten, an den "kosten" für die ware arbeitskraft zu sparen. konkomitant gonfliert zugleich die kapitalistenmacht bzw. die ihrer agenten über die verkäufer dieser "ware".

     

    das führt immer mehr zu exzessen des machtmißbrauchs(extrem: telecom in frankreich, das kaufhofbeispiel ) denen der-ie einzelne lohnarbeiterin nichts entgegensetzen können, außer dem versuch, sich mehrere ausgebeuteten-stellen zu suchen, bloß um nicht unters existenzminimum zu rutschen, oder gleich hartz-4-leistungen zu beantragen.(von wegen "wer für minigeld arbeiten geht..der kann sich wehren"-oben "hanns" :soll er doch mal die verdi-frau neumann aus anne wills sendung fragen. und wer kündigt, kriegt erst mal monate leistungsstopp usw.)

     

    die gewerkschaften , durch egoistische, opportunistische, an die kapitalistischen blockparteien gebundene führungsfiguren gebunden, haben dagegen ob der abnehmenden globalen mehrwertmasse immer weniger macht und wirkliches kämpfen haben ihre verfaulten führungs-figuren schon längst verlernt.

     

    mehr arbeit bes. im pflege-,gesundheits-dienstleistungssektor, n ü t z l i c h e arbeit wäre ja nötig, unbedingt richtig, frau dribbusch, aber ist sie auch bezahlbar? hier schafft man keinen mehrwert, verteilt den in der industrie erzeugten nur um. dieser mehrwertteil ist begrenzt und daher auch nur begrenzte lohnhöhe möglich. hinzu kommt die sich öffn. schere zw. reichen und a r m e n alten : langfristig wird nur eine immer kleinere zahl reicher alter die kosten für altenheim und pflege überhaúpt aufbringen können, für den riesigeren teil der armen alten aber wird der mehrwertanteil der diese verwaltenden kapitalisten kleiner, damit aber auch die bezahlbare lohnsumme für das pflegepersonal-das bedeutet eine absolute grenze b e z a h l t e r arbeitsmöglichkeiten in diesem sektor.

     

    schlägt aber die weltwirtschafstkrise nach dem zu erwartenden platzen der neu entstandenen spekulationsblase auch in der brd voll durch, wird es kein halten mehr geben, dann kommt es nicht nur zu den vorerst aufgeschobenen massenentlassungen, sondern zu einem drastischen sinken der lohnhöhen usw. (jetzt schon in griechenland gut zu sehen). dann werden auch die löhne im moralisch noch geschützten alten- gesundheit- und pflegebereich für die armen, überhaupt die ausgaben dort, einen mörderischen fall erleben.

     

    dann steht ,so befürchte nicht nur ich, so etwas wie eine geschickt verschleierte "auschwitzisierung" des ges. sozialbereichs ins einstürzende kapit. haus.

     

    dagegen, liebe frau dribbusch, hilft m.e. nur der unverzüglich zu beginnende aufbau bürgerrechtlicher und evtl. auch militanter selbsthilfe- und widerstandsorganisationen und erste praktische versuche von so etwas wie

    "belegschaftssozialismus" in altenheim,industrie usw.

  • H
    hto

    Schon das "Wirtschaftswunder" und die "sozialen Errungenschaften" standen auf "tönernden Füßen" /auf intriganten Geschenken auf Zeit im "Kalten Krieg", waren Kommunikationsmüll für den seligmachenden Glauben an "gesundes" Konkurrenzdenken des "freiheitlichen" Wettbewerbs, für die systemrational-gebildete Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche, der stumpf- wie wahnsinnigen Hierarchie in materialistischer "Absicherung" - nein, nein, nein, diese Suppe ...!?

  • S
    Staatsbürger

    Der deutsche Arbeitsmarkt unterscheidet sich von den skandinavischen durch eine niedrigere Beschäftigungsrate, eine höhere Arbeitslosigkeit, eine vier mal so hohe Langzeitarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, eine schlechtere Integration der Frauen, Jugendlichen und Älterer und natürlich kaum wachsende Löhne. Die Ausgaben oder besser Investitionen für Weiterbildung und zuvor der Bildung der Kinder sind in Deutschland auch schlechter als dort. Kurzum passive Alimentierung hier, kluge Investitionen dort. Dass sozialdemokratische Staatspolitik auch zu mehr Wachstum und Schuldenabbau führen kann, undenkbar aber war. Diese Fakten trotzen sogar völkisch anmutenden Abwehrreflexen wie "Das ist nicht übertragbar".

    Die niedrigen Geburtenraten in der BRD werden zu einer Aushöhlung aller Sozialversicherungen führen, sowie auf dem Arbeitsmarkt eine wachsende Beschäftigungslücke hinterlassen. Gleichzeitig wird durch die Alterung das fruchtbare Streben der Jugend nach Neuem in den Hintergrund treten und Status- und Hierarchiedenken platz machen (Exellenz-Initiative etc.) - auch dann, wenn man in Deutschland (lol) das Potential der Innovationserfahrenen nützte.

    Mit einer schrumpfenden und noch schlechter ausgebildeten Bevölkerung, ergänzt durch kurzsichtige Formen der Unternehmensführung und einer weiteren Entstaatlichung, ist ein High-Tech Wettbewerb mit China und Indien nicht zu gewinnen. Jedenfalls wird für europäischen Freunde der Exportweltmeister (eigentlich -europameister)immer unbedeutender.

    P.S.: Schaut man sich die Daten für Europa an, ja dann gibt es nur wenige Länder mit einer positiven sozioökonomischen Ausrichtung: Norwegen, Dänemark, Finnland und Schweden. Letzteres schwächelt ein wenig, da die Regierung zu sehr auf Export- und konservative Ausgrenzung setzt...

  • X
    xonra

    Nur ein bedingungsloses Grundeinkommen wird diese Probleme lösen helfen.

  • H
    heikemai

    Meine Tochter hat zwei Jobs, um Miete und Lebenshaltung bezahlen zu können. Sie ist ausgebildete Erzieherin. Ich bin im Einzelhandel tätig. Ich habe einen Arbeitsvertrag über 80 Stunden im Monat. Mehr ist für mich und die meißten meiner Kolleginnen nicht drin. Glücklich ist, wer da nur " zuverdienende Ehefrau " ist. Die Damen und Herren Statistiker sollten ihre Erhebeungen im Aktenkeller ablegen. Sie sagen nichts über das wahre Leben aus. Rein gar nichts! Einen Job zu haben, heißt schon lange nicht mehr, auch davon leben zu können.

  • H
    Hanns

    Ich sehe die Aufgabenverteilung anders als die Autorin, obgleich sie die richtigen Themen anschneidet: 1. Gewerkschaften ändern - solange schnöde Funktionäre nicht mehr für Gerechtigkeit und Ausgleich eintreten, brauchen wir Alternativen. Mal ehrlich: Wo ist das Instrument zur Veränderung? Wo ist der Ansatzpunkt? Warum schlägt Kaufhof diesen Stuss denn vor?

    2. Lernen, die Straße zu nutzen= Hallo jemand da?

    Wer sich jetzt noch verschanzen will, macht etwas falsch. Die Situation ist doch lachhaft: Es geht Deutschland schlecht, weil es schlecht geredet und regiert wird. Gerechte Entlohnung und gute Leistungen durch den Staat oder kommunale Einrichtungen sind möglich. Alles andere ist doch Defaitismus.

    3. Nicht Mitmachen = Wer für Minigeld arbeiten geht, sich mobben lässt oder abstruse Ideen ausbaden soll, der kann sich wehren. Niemand ist zum Osterlahm verurteilbar, wir sind Menschen, kein Schlachtvieh.

    4. Danke SPD, CDU, CSU und leider auch FDP - Ihr habt uns nichts geboten (außer Lügen). Die Grünen sollten auch eine Lektion für ihr fehlgeleitetes Mitstimmen bei Hartz erhalten, aber da gibt es wenigstens noch die Möglichkeit zur Besserung und wem nützt es, wenn die Linke 2040 Deutschland regiert? Wir brauchen jetzt Veränderungen, also an den Urnen das Gehirn einschalten, den Grünen deutlich machen, was wir wollen.