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Kommentar AntisemitismusvorwürfeEmpörung mit Routine

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Das Unrecht, das Israel in der Westbank anrichtet mit Nazi-Politik zu vergleichen, führt zu nichts. Druck auf die Netanjahu-Regierung wird nur über sachliche und präzise Kritik erreicht.

W enn Deutsche Kritik an Israel üben, müssen sie genauer reden als sonst. Das Unrecht, das Israel in der Westbank anrichtet, etwa mit Nazi-Assoziationen zu metaphorisieren, zeigt nicht nur einen Mangel an historischem Verstand und Herzensbildung. Es ist auch der sicherste Weg, jene Empörungsroutinen auszulösen, die wiederum verhindern, was nötig ist – nämlich internationalen Druck auf die engstirnige Netanjahu-Regierung zu mobilisieren.

Das vermag, wenn überhaupt, nur sachliche, präzise Kritik. Das Grass-Gedicht zeigte modellhaft, wozu hochfahrende, selbstreferenzielle Polemik führt: zu nichts.

Vollkommen anders liegt der Fall des Jenaer Bürgermeisters Albrecht Schröter, der eine Kampagne für die Kennzeichnung von Waren aus den besetzten Gebieten in der EU unterstützt.

Es geht wohlgemerkt nicht um einen Boykott, schon gar nicht von Waren aus Israel. Es geht einzig darum, Konsumenten in die Lage zu versetzen zu erkennen, was sie kaufen.

taz
Stefan Reinecke

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Schröter ist deswegen zur Zielscheibe der üblichen Allianz aus Henryk Broder und ein paar reaktionären Netanjahu-Fans geworden, die ihn sogar als Antisemiten beschimpfen. Ist das schändlich oder einfach nur lächerlich?

Vielleicht ist dieses schrille Empörungstremolo indes Anzeichen einer Verunsicherung der Netanjahu-Fans. Denn die EU ist drauf und dran, die Kennzeichnungspflicht für Produkte aus israelischen Siedlungen in Palästina zu beschließen.

Bislang hat Deutschland dies blockiert – doch auch im Auswärtigen Amt reift die späte Erkenntnis, dass Netanjahu, wenn überhaupt, nur auf Druck reagiert.

Der Skandal ist nicht, was Jenas Bürgermeister getan hat. Der Skandal ist das achselzuckend hingenommene fortwährende Besatzungsregime.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • K
    kurt-willy

    Da `stimmt was nicht´ in der Republik!

    Ich z.B. wohne- lebe- arbeite in Dänemark... Und kaufe natürlich ein in dänischen Supermärkten!

    Es ist ziemlicher `normalzustand´ in DK, dass Waren, vornehmlich Gemüse+ Früchte- auf der Verpackung das Herkunftsland nennen.

    Und wenn Waren mit Herkunftsland Israel (was Westbank bisher impliziert..) angeboten sind- dann sind die Waren zumeist von besserer Qualität als die Waren anderer Länder.

    Ausnahme bilden das Wintergemüse/Früchte aus Südafrika und Südamerika... die `besser´ sind als die Waren aus Israel... Was irgendwie mit dem planetaren Klima zu tun hat...

  • S
    strooker

    Ich stimme Ihrer Einschätzung was Hr. Schröter betrifft zu, Hr. Reinecke. Allerdings sollte man so fair sein, darauf hinzuweisen, dass eine Kennzeichnungspflicht den Boykott von Waren aus den besetzten Gebieten erst ermöglicht. Sie haben ja selbst geschrieben, dass Druck aufgebaut werden soll ... also ist das Ganze durchaus politisch motiviert und das sollte man auch im Kopf behalten.

     

    Was mich aber mehr umtreibt ist, welche Lösung es im Konflikt um Palästina geben soll. Eine Zwei-Staaten-Lösung ist nach meiner Meinung unsinnig. Ich denke nicht, dass sich dieses Land teilen lässt. Eine israelisch-palästinensische Föderation ist vielleicht die einzige Möglichkeit, dass beide - Israel und Palästina - dauerhaft überlebensfähig sind. Freilich glaube ich nicht daran, dass dies so einfach wird.

  • BS
    birte stephan

    was für ein schwachsinnskommentar. dass es in thüringen, besonders in jena genug antiisraelisches potential gibt ist nun weis gott kein geheimniss.

     

    ansonsten mal wieder viel meinung von herrn reinecke und wenig kommentar. vielleicht ist es besser, wenn er sich in zukunft mehr über zum parlamentarischen betrieb äußern, als zu sachen von denen er nun wirklich nichts versteht.

  • S
    Staatsbürger

    Es gibt Probleme, aus denen sich deutsche Politiker einfach heraushalten sollten.

     

    Zumal es angesichts der Mentalitäten, die im Nahen Osten aufeinander treffen, keine einfachen Lösungen gibt.

     

    Moralische Hybris aus der bequemen Loge des mitteleuropäischen Beobachters hilft allerdings auch bei schwierigen Lösungen nicht weiter.

  • MH
    Mario H.

    Phh, und dann übt man leise Kritik, ganz klar gerichtet an die Regierung Israels und darf sich trotzdem von allen als Antisemit beschimpfen lassen.

    Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder man unterstützt die Politik Israels vorbehaltlos oder man ist Antisemit.

  • TJ
    Tom Jones

    Genau, die Gleichsetzung von Nazideutschland und Israel ist Mist, weil sie nicht geeignet ist, Israel ordentlich unter Druck zu setzen und nicht weil es antisemitischer Wahn ist.

  • B
    blibla

    Hier mal ein Ansatz:

     

    Bei Stammtischdiskussionen werden ab ca. dem dritten Bier 2 generelle Lösungswege für internationale Krisen diskutiert.

     

    1. "Baut eine Mauer darum, wartet bis es aufhört zu schiessen und schaut dann nach wer gewonnen hat."

    2. "Lasst die Luftwaffe einmal gründlich über das Land fliegen, dann ist Ruhe."

     

    Den ersten Lösungsansatz hat Israel ja bereits erfolgreich umgesetzt mit der Mauer um sein Staatsgebiet herum. Der zweite ist gerade in Arbeit, siehe Iran.

     

    Ich schlussfolgere: In der israelischen Politik - und hier insb in konservativen und Sicherheitskreisen - wird nach dem Stammtischprinzip vorgeganen und so lange das herrscht brauchen wir uns in Deutschland keine Gedanken über irgendwelche Lösungsansätze machen.

     

    Das einzige, auf was wir achten müssen ist, dass die Stammtischler immer genügend Biernachschub bekommen, denn ansonsten fangen sie womöglich an zu randalieren. In Bezug auf Israel: Besser wir geben ihnen die U-Boote..

  • DG
    Dirk Gober

    Reinecke, neidisch auf die Tatache, daß Broder für echte Zeitungen und Zeitschriften schreiben darf?

    Hat vielleicht etwas mit dem persönlichen Format zu tun...

  • O
    oranier

    Ein gedanklich sehr konsistenter Artikel: Man sollte polemische Kritik unterlassen, die zu nichts führt, als Empörungsroutinen auszulösen, stattdessen wird Kampagnen das Wort geredet, die zu nichts als einem "schrillen Empörungstremolo" führen. Weshalb "Deutsche" Deutsche" bei Kritik an Israel "genauer reden" sollten als sonst und als andere, bleibt unter dieser Maßgabe unerfindlich. Man kann man sich Kritik und Kampagnen sowieso sparen, zumal die Politik Israels hoch offiziell zur deutschen Staatsräson erklärt worden ist. Da kann man so genau reden, wie man will: der Antisemitismusvorwurf orientiert sich nicht an dem Wie, sondern an dem Dass der Kritik.

     

    Zu den gängigen analytischen Fehlern des politischen Urteils gehört seit Jahrzehnten die Personalisierung der israelischen Politik. Was geschieht, ist nicht die Politik Scharons oder Netanjahus, sondern ist mit dem Begriff "israeilsche Staatsräson" angemessen beschrieben. Die duldet keinen souveränen palästinensischen Staat und wird ihn nicht dulden. Daran ändert nicht einmal ein bisschen Obama oder Uno/Unesco etwas, geschweige denn irgendwelche gut gemeinten, aber lächerlich hilflosen Konsumenten-Kampagnen.

     

    Was also wäre realistischer, als die Verhältnisse "achselzuckend" hinzunehmen? Verhältnisse im übrigen, die mit der Bezeichnung "fortwährendes Besatzungsregime" eher schönfärberisch bezeichnet sind, denn eine Besatzung hat nach dem Völkerrecht und in der Realität einen temporären Charakter, im Gegensatz zu der sukzessiven Annexion, die dort stattfindet, zielgerichtet allerdings nur der "Gebiete", nicht der Bevölkerung. Die ist dazu verdammt, wie ehedem die Juden, ein exterritoriales "Pariavolk" (Max Weber) zu sein.

  • TW
    true west

    Sachlich mit den Israelis ? Don't hold your breath!

  • B
    Bitbändiger

    Wieder mal sehr guter Kommentar, Stefan Reinecke. Trotzdem wäre es spannend, einmal zu erleben, was passiert, wenn ein(e) Regierungschef(in) eines grundsätzlich israel-freundlichen Staates tatsächlich das übliche unverbindliche Diplomaten-Geschwafel durch "sachliche, präzise Kritik" ersetzte. Denn was in den besetzten Gebieten wirklich passierte und passiert, wer da wen kujonniert, kann ja wohl objektiv nicht strittig sein?