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KolumneSpeer im Springer

Es ist doch ein Faux Pas, dass nicht festgelegt ist, ob ein Wurf gewertet werden kann, wenn er im Körper eines anderen endet.

Speerwerfer trifft Weitspringer! Was ein selten sensationeller Sportunfall, der sich da bei einer Leichtathletikgala in Rom ereignete. Zehn Zentimeter tief bohrte sich der vom Finnen Pitkamäki geschleuderte Wurfspieß in den Rücken des Franzosen Sdiri. Da kann man mal sehen: Wie schnell man als Sportler heutzutage zu Weltruhm gelangt. Und vor allem: wie unerwartbar schräg zuweilen die Wege dorthin verlaufen. So jedenfalls dürften sich das Tero Pitkamäki und Salim Sdiri vorher nicht ausgemalt haben. Gehts eigentlich noch spektakulärer? Andersrum vielleicht? Aber nein, das scheint dann doch zu unwahrscheinlich: Dass ein Weitspringer aus Versehen über die Sprunggrube hinweg und dort einen zufällig herumstehenden Speerwerfer krankenhausreif springt.

Bild: taz

Fritz Tietz ist 48 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

Bleiben wir also bei diesem einzigartigen Speerwurf von Rom. Der insofern immerhin glimpflich ausging, als Pitkamäki bei seinem folgenschweren Versuch offenbar keine wettkampfentscheidende Weite schaffte, überdies sein Wurf wegen deutlichen Überschreitens der Wurfsektorengrenze als ungültig gewertet wurde. Was aber wäre gewesen, wenn sich Weitspringer Sdiri nicht knapp außerhalb jenes Sektors aufgehalten hätte als ihn der Speer traf? Hätte dann Pikamäkis Wurf gewertet werden müssen? Und mit welcher Weite? Die vom exakten Aufeinandertreffpunkt von Speer und Sdiris Rücken? Oder hätte man eher von der Stelle aus messen müssen, wo der Getroffene taumelnd in die Knie ging? Ein Unterschied von nur wenigen Zentimetern, gewiss, welcher aber am Ende, wie so häufig im Sport, durchaus der entscheidende sein kann.

Kaum anzunehmen, dass derart knifflige Fragen im internationalen Speerwurfreglement zufriedenstellend geregelt sind. Genauso wenig dürfte sich unter den Weitsprungregeln eine finden für eben den Fall, dass ein Weitspringer mitten im Wettkampf von einem Speer getroffen wird; oder von was auch immer, das in Leichtathletikstadien so rumfliegt. Wurfhämmer etwa. Stoßkugeln. Oder Diskusscheiben. Ein Grund für ihre fehlende Beachtung in den herkömmlichen Regelwerken ist sicher der, dass sich derartige Unfälle bislang schlichtweg nicht ereignet haben. "Kampfrichter sind ja schon öfter mal getroffen worden," bestätigt denn auch ein paar Tage nach dem Unfall von Rom eine Christina Obergföll, 25, im Interview, "dass aber ein Athlet schon mal getroffen wurde, davon habe ich noch nie gehört."

Frau Obergföll muss es wissen. Sie ist amtierende WM-Zweite und aktuelle Europarekordhalterin im Speerwurf (70,20 m) - wie man durch einen biografischen Hinweis erfahren kann, der nämlichem Interview angehängt ist. Bis dahin, gebe ich zu, war mir die Dame Obergföll genauso unbekannt wie vor ihrer schicksalhaften Havarie die beiden Unglücksraben Pitkamäki und Sdiri. Auch daran kann man mal sehen. Wie durch einen so spektakulösen Sportunfall neben den Betroffenen auch solche ihren Ruhm mehren, die allenfalls randständig darin involviert sind.

Was umso bemerkenswerter ist, als es ein ganzes Arsenal aufsehenerregender Sportunfälle gibt, von denen nicht mal die Hauptprotagonisten namentlich bekannt sind. Man muss dazu nureinschlägige Internetseiten durchforsten. Nach jenen zahllosen Filmclips etwa, in denen einige der bizarrsten Unfälle der Sportgeschichte zu wahren Kompendien des Scheiterns und des Schmerzes zusammengestellt sind und also immer wieder geschaut werden können. Die Opfer indes bleiben namenlos. Jener Reckturner etwa, der bei seinem Übungsabgang derart brutal auf die Stange knallt, dass einem schon vom Zugucken ganz anders wird. Oder jener Kickboxer, dem bei einem Fußtritt gegen den Gegner deutlich sichtbar der Unterschenkel bricht. Oder dieser Radrennfahrer, der scheinbar uneinholbar in Führung liegend und also in Sichtweite des Ziels siegessicher die Arme vom Lenker nimmt und diese hochreißt - um sich dann freihändig so was von auf die Fresse zu legen, dass ihn der bis dahin Zweite locker überholen und den Sieg einfahren kann. Auch dieser Pechvogel bleibt unbenamt. Ist aber vielleicht auch besser so.

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