Kolumne: Die Betriebsrätin Seiner Majestät
Neue taz-Kolumne: Märchen. Die Liebe und das Betriebsverfassungsgesetz
V or vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da verliebte sich eine junge Licht- und Tontechnikerin, die nicht namentlich genannt werden möchte, daher nennen wir sie zum Schutze ihrer Persönlichkeit einfach mal Corinna S. - sie also verliebte sich in einen Theaterdirektor. Der Mann herrschte weise und gütig über sein kleines Königreich und wurde von all seinen Untertanen geschätzt und verehrt. Und so hätte es bleiben können bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, wenn, ja wenn nicht der weise Direktor, der es stets verstand, sein Ensemble mit aufregenden und spannenden Geschichten aus seiner Zeit als 68er-Revoluzzer zu unterhalten, wenn eben der weise Mann nicht eines schönen Abends laut und deutlich in die Runde gefragt hätte: "Warum gründet ihr Luschen eigentlich nicht mal einen Betriebsrat?"
Die junge Technikerin, deren Liebe rein und ohne Falsch war, die dachte nun im Geheimen bei sich: "Ei, was für ein wahrhaftiger Edelmann, der nur das Beste für sein Volk will." Denn kurz zuvor hatte der Direktor verkündet, er wolle nach zehnjähriger Regierungsgewalt das Theater bald verlassen. Und, so dachte die Technikerin weiter, er wolle seine Untertanen nicht schutzlos einem anderen, fremden Potentaten ausgeliefert wissen.
Und die treue Liebende beschloss, dem König ihres Herzens diesen Wunsch nach einem Betriebsrat zu erfüllen.
In wochenlangen Geheimgesprächen checkte die Technikerin mit vor Aufregung geröteten Wangen ihre Kollegen durch, bald hatte sie tapfere Mitstreiter an ihrer Seite, in langen und anstrengenden Sitzungen im Gewerkschaftshaus paukte sie das Betriebsverfassungsgesetz und sie konnte kaum den Tag erwarten, an dem sie endlich dem Mann ihres Herzens verkünden könnte: "Direktor, stell dir nur vor, wir gründen einen Betriebsrat!" Was für ein Freudenfest würde das werden, mit mehrtägigem Tanz, gesottenem Rebhuhn und Feuerwerk.
Und endlich war der große Tag gekommen! Die Technikerin griff zum Telefon, um dem Direktor stolz von ihrem heroischen Tun zu künden und Lob und Dankbarkeit in bescheidener Demut entgegenzunehmen. "Direktor", so sprach sie mit unsicher zitternder Stimme in den Hörer, "Äh, also es ist so, dass na ja, du hast ja mal gesagt Also ich mache es kurz: Wir sind grad dabei, einen Betriebsrat zu gründen." Aber, ach, wie seltsam war die Reaktion. Der Direktor sagte erst nichts, dann sagte er nur knapp: "Ich habe keine Zeit, und ich bin etwas enttäuscht. Ich hätte mich gefreut, wenn ihr mich vorher eingeweiht hättet", und damit war das Gespräch beendet. Die Idee, ihren Angebeteten vorher einzuweihen, die hatte die Liebende durchaus zuvor in ihrem Herzen erwogen, doch kannte sie den weisen Mann gut genug, um mutmaßen zu dürfen, er würde dann womöglich laut prustend ausgerufen haben: "Ihr wollt einen Betriebsrat gründen und weiht euren Chef ein? Seid ihr übergeschnappt?"
Es folgte eine Zeit grässlichster Repressalien. Sämtliche Stundenabrechnungen wurden nun überprüft, die Untertanen durften fortan dies nicht mehr und sollten ab jetzt jenes regelmäßig tun - es war die reine Hölle. Die Technikerin aber wusste: Sollte des gütigen Direktors Nachfolger womöglich ein Arschloch sein, dann müsste der neue Betriebsrat ja geübt sein für den Ernstfall, und nichts anderes wollte der weise Mann mit seinem unerklärlichen Tun erreichen.
Die Zeit des Abschieds nahte mit entsetzlicher Geschwindigkeit, den Direktor zog es zu neuen Ufern. An einem der endgültig letzten Abende gelang es der Technikerin, den weisen Mann zu einem Getränk unter vier Augen zu überreden. Und so begab es sich, dass der fortziehende Befehlshaber der liebeskranken Adjutantin bestätigte, diese ganze Betriebsratsgründerei sei doch eigentlich eine sehr okaye Aktion gewesen, er warnte sie noch vor Verrätern in den eigenen Reihen, und aufgeräumt und erleichtert ritten beide zurück auf den stolzen Klapperrädern in ihr jeweiliges Zuhause.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann mögen sie sich noch heute.
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