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KolumneGroßes Fettnapfpotenzial

Kolumne
von Hilal Sezgin

Die Kritik am "Popoposter" der Grünen war berechtigt und keine Zensur

Dem nordrheinwestfälischen Kaarst fehlt das glückliche Händchen. Zumindest fehlt es den Kaarster Grünen, die sich mit ihren diesjährigen Wahlkampfplakaten von einem Fauxpas zum nächsten hangeln. Auf einem von ihnen steht eine Frau auf einer Waage. Der Spruch dazu lautet: 51 wären ideal. Gemeint sind Prozente, zu assoziieren sind Kilo. Wir wollen hoffen, dass die Frau sehr klein ist, 51 sind ja doch recht wenig. Für eine erwachsene Frau zumindest, nicht aber für die Grünen, schon gar nicht für die in Kaarst, die dieses Jahr hoffentlich seltener denn sonst gewählt werden.

Ehe sie dieses Plakat veröffentlichten, warben sie nämlich mit jenem anderen, auf dem man einen wohlgeformten dunkelhäutigen Frauenhintern sah, umpackt von zwei weißhäutigen Händen. Der Spruch dazu: "Der einzige Grund, schwarz zu wählen." Das stimmt. Dieses Plakat der Grünen wäre für mich ein Grund, schwarz zu wählen, vor allem seitdem die CDU in Thüringen für ihren Kandidaten Zeca Schall in die Bresche gesprungen ist, als dieser von der NPD rassistisch angegangen wurde. Vielleicht wären auch die Kaarster Grünen als Unterstützer für Schall zu gewinnen, wenn er entsprechend gebaut ist, was auf dem Wahlplakat der CDU jedoch nicht zu sehen ist. Verkehrte Welt. CDU Thüringen sticht Grüne NRW.

Bild: hilal sezgin

Hilal Sezgin lebt als Publizistin in der Lüneburger Heide. In ihrer letzten Kolumne schrieb sie über Schuldabwehr statt Schuldbewältigung: Zum Mord an Marwa al-Sherbini. 2008 veröffentlichte sie gemeinsam mit Nasr Hamid Abu Zaid: "Mohammed und die Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam".

Auf die zahlreichen kritischen Kommentare zum "Popoposter", wie sie es verniedlichend nennen, zogen die Kaarster Grünen das Plakat zurück. Und die Spitze der NRW-Grünen gab eine Erklärung ab, in der es unter anderem heißt: "Wenn sich Menschen durch die Bildsprache verletzt oder diskriminiert fühlen, nehmen wir das sehr ernst. Wir haben in den vergangenen Tagen intern über das Plakat und die Reaktionen darauf diskutiert und haben uns dafür ausgesprochen, das Plakat zu entfernen. Den Vorwurf des Rassismus und des Sexismus weisen wir entschieden zurück. Weder die NRW-Grünen noch die Kaarster Grünen denken oder handeln rassistisch oder sexistisch, sondern im Gegenteil …".

Danke, ihr lieben und guten NRW-Grünen, dass ihr so viel Mitgefühl für eure mimosenhaften Zeitgenossen zeigt! Im Ernst: Mit dieser Art der pseudohaften Anteilnahme und der tatsächlichen Zurückweisung der Verantwortung verspielt man seine Glaubwürdigkeit; vielleicht nicht, was Atommeiler, aber doch, was soziales Miteinander und Gleichberechtigung angeht. Nach einem solchen Fehler, für den es keine Entschuldigung gibt, könnte nur eins helfen: die uneingeschränkte Bitte um Entschuldigung. Stattdessen wiegeln die Sprecher gleich doppelt ab: In einem ersten Schritt wird der Einwand, etwas sei rassistisch, als subjektive Befindlichkeit irgendwelcher Betroffenen interpretiert und deren Kritik damit herabgewertet: Menschen FÜHLEN sich verletzt oder diskriminiert, sie WERDEN es vermeintlich nicht.

In einem zweiten Schritt wird die Kritik an einer spezifischen Handlung zu einer verallgemeinerten Kritik ausgewalzt - und damit die Beweislast für die Kritiker noch weiter vergrößert: "Weder die NRW-Grünen noch die Kaarster Grünen denken oder handeln rassistisch oder sexistisch …" Dass sie generell so handelten, hat niemand behauptet. In diesem Fall haben sie es aber nun mal getan.

Wie diverse Rassismustheoretiker gezeigt haben und wie zuletzt von der Stuttgarter Philosophin Elisabeth Conradi wunderbar klar herausgearbeitet wurde, gibt es objektive Kriterien, die es ermöglichen, Darstellungen, Äußerungen und Handlungen als rassistisch zu beurteilen. Weder die Intention des Handelnden ("So hab ich das nicht gemeint") ist dabei ausschlaggebend noch die subjektive Verletztheit des Adressaten. Dieser ist vielleicht an rassistische Verhältnisse gewöhnt, oder er versucht sich nicht beeinträchtigen zu lassen und daher die Wahlplakate am Straßenrand zu übersehen.

Kaum war die Kritik geäußert, fühlten sich allerdings die Kaarster Grünen an der Reihe, beleidigt zu sein. Das Fettnapfpotenzial ihres Heimatstädtchens (42.000 Einwohner, 37 Quadratkilometer) schonungslos ausreizend, nahmen sie ihr geliebtes Popoposter nicht einfach von der Homepage, sondern löschten zunächst nur das Motiv und montierten einen "Zensur"-Balken drauf. Als ob Bismarck das Plakat verboten hätte!

Dabei handelte es sich doch um von gleich zu gleich vorgetragene, inhaltliche Kritik, zumeist sogar aus den eigenen Reihen. Solche Kritik zu äußern und gegebenenfalls darauf zu reagieren gehört zu den entscheidenden Mechanismen der demokratischen Öffentlichkeit - und gerade nicht zum Instrumentarium eines autoritären Staates und der Zensur.

So drastisch die Grünen sich hier vertan haben: Die beschriebenen Reaktionsweisen sind unter Linken leider nicht wenig verbreitet. Insbesondere das Wort "Zensur" wird inflationär verwendet, um zu rechtfertigen, warum man lieber KEINE Maßnahmen zum Eindämmen von Rassismus und Sexismus ergreift. Zensur ist es angeblich, wenn auf linken Internetforen rassistische Beiträge unterbunden würden (dabei hat längst jede Website eine Netiquette, deren Minimalanforderungen jeder Beitrag erfüllen muss). Von "Zensur" wird auch gesprochen, wenn es um strafrechtlich wohl erwogene, demokratisch legitimierte Verbote rechter Internetseiten geht. Im Internet müsse alles "frei" geäußert werden dürfen - was für ein sonderbarer, rein negativer Freiheitsbegriff!

Wenn Nazis in den Städten demonstrieren, rufen wir doch auch zu Gegendemos auf - warum also machen wir ihnen im Internet freiwillig Platz? Und warum soll es Zensur sein, wenn ein potenziell Geschädigter (eine Frau, ein Afrodeutscher) die Staatsgewalt um Hilfe ruft? Der Anti-Etatismus vieler klassischer Linker in allen Ehren - aber das bedeutet nicht, dass der Staat nicht auch einmal uns unterstützen könnte. Es gibt Gesetze, die die Meinungsfreiheit schützen - und sie da begrenzen, wo die Menschenwürde eklatant verletzt wird. Den öffentlichen Raum, Straßen und Plätze, Zeitungen und Internet großzügig den Rechten darzubieten, bloß um selbst nicht in den Verdacht des Ausübens von "Zensur" zu gelangen - das ist ein Luxus, den man gegenüber den Opfern der Rechten wohl kaum vertreten kann.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

7 Kommentare

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  • JT
    Jonkl. T

    Zuerst möchte ich mich bei Hilal Sezgin für ihre Klarheit und Überzeugung bedanken. Sie hat meine eigenen Gefühle bzgl. des Plakates genau artikuliert. Vielen Dank!

     

    Nachdem ich die anderen Kommentare gelesen habe, bin ich noch dankbarer, dass es Hilal Sezgin und andere hoch qualifizierte deutsche JournalistInnen gibt. Ihre Nationalität ist mir dabei vollkommen egal. Aber nur zur Info und in aller Kürze, um die LeserInnen UND SchreiberInnen solch langer verwirrter Bemerkungen (wie von Frau Anke ) zu schonen: Frau Sezgin besitzt die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Also "darf" sie wählen.

     

    Um diese Recherche (die ganz leicht auszufinden ist) abzurunden: Frau Sezgin ist eine hervorragende Publizistin, Philosophin und Feministin. Normalerweise vermeide ich die Bezeichnung "stolz" mit einer Nationalität - aber Deutschland kann wirklich stolz auf eine solche Staatsangehörige sein, die sich universal für die Gleichberechtigung einsetzt. Das heißt: auch für Sie, Frau Anke.

     

     

    ***Anmerkung der Redaktion: Wir haben die entsprechenden Passagen inzwischen herausgenommen, da sie gegen die Regel dieses Forums verstoßen, andere Autoren und Kommentatoren nicht zu beleidigen.

  • M
    Makeba

    Herr Thomas, um Ihr Verständnis von Rassismus etwas aufzufrischen, lege ich Ihnen die Lektüre des Buches "Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus" ans Herz (Erscheinungsjahr: 2009).

     

    Frau Sezgin, herzlichen Dank für diese haarscharfe Analyse und die hervorragende Argumentation. Ein Lichtblick zwischen den ganzen Kommentaren mehrheitsdeutscher und selbsternannter Experten für Rassismus & Co. Danke!

  • A
    Andreas

    ..unterirdisch, der rassistische, frauenfeindliche und irrationale Tenor der Kommentare wirft ein allzu beredtes Bild auf die taz-leserschaft, die Gruenen-wahler und den deutschen Geisteszustand. Mehr Analysen wie jene Sezgins sind dringend noetig.

  • J
    Jonas

    Zu der schwachen Argumentation der Autorin haben meine Vorredner ja shcon genug gesagt, ich möchte auf die 51 nochmal eingehen.

    Für etwa 40% der Frauen in Deutschland wären 51kg Körpergewicht ein gesunder Zustand(wenn auch teilweise an der unteren Grenze). Deshalb von "sehr kleinen" Frauen zu sprechen ist purer Schwachsinn.

    Und zensieren von rechtsextremen Seiten bringt - ähm - nichts! Denn durch Proxies kann man alles umgehen. Oftmals verstoßen die Seitena uch ncith gegen gültiges Recht, wenn sie nämlich im Ausland gespeichert sind. Wichtiger ist eine internationale Rechtsgebung und Zusammenarbeit, aber eine Zensur ist natürlich viel einfacher und das einfache Stimmvieh fühlt sich sicher vor der rechten Bedrohung, die so, noch viel schlechter als zuvor überwacht werden kann. Glückwunsch, schöne neue Welt.

  • HT
    Hartmut Thomas

    „Rassistisch“, wie Hilal Szegin meint, ist das umstrittene Plakat der Kaarster Grünen keinesfalls. Das rassistische „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes“ der Nazis von 1935 hatte sexuelle Beziehungen zwischen weißen Deutschen und „ Juden, Negern und Zigeunern“ wg.sog. „Blutschande“ unter Strafe gestellt. Diese erzwungene Rassentrennung war brutaler Rassismus. Das ominöse Plakat jedoch propagiert – auch zur Empörung heutiger Neonazis - das Gegenteil: Es stellt den sexuellen Kontakt zwischen Schwarzen und Weißen als gut und schön dar. Also eher antirassistisch als rassistisch. Dass diese Darstellung dennoch sexistisch ist steht auf einem anderen Blatt.

     

    Hartmut Thomas

    Hilchenbach

  • D
    Ödipus

    Was für eine armseelige und verbissene Stellungnahme und dann noch mit objektiven Fehlern. Recherche sieht aber anders aus - ach, ja ist ja auch nur ein Kommentar, der muss ja nicht fundiert sein.

    Dann weiter so!

  • A
    anke

    Alibi – von alius: ein anderer. Das A. ist "der Beweis oder Nachweis dafür, dass eine verdächtige Person [...] als Täter nicht in Frage kommt."

     

    Gut, dass Hilal Sezgin keine Juristin ist. Sie müsste sich sonst fragen lassen, wie sie es hält mit den Be- bzw. Nachweisen. Dass die Bundes-CDU zum Beispiel nicht frauenfeindlich ist, schließt sie messerscharf daraus, dass ihre Thüringer Tochter medienwirksam die NPD verklagt. Warum? Weiß sie nicht, dass Klagen hierzulande konkret sein und eine persönliche Schuld betreffen müssen?

     

    Ja, die Thüringer CDU macht feine Unterschiede zwischen Schwarzen und Schwarzen. Wer sich vor ihren Karren spannen lässt, darf den Grund für eine im Wahlkampf geschickt zu platzierende, wenn auch aussichtslose Klage abgeben, bevor er wieder in der medialen Versenkung verschwindet. Wer sich allerdings gegen ihre mit Schneid praktizierte Ausländerpolitik wendet, der wird vor die Tür gesetzt. Teile und herrsche.

     

    [...]

     

    Gut, die Thüringer CDU hat bis zum NPD-"Skandal" nicht mit dem braunen Hintern von Herrn Schall geworben, sondern mit seinem Gesicht. Das ist eine Tolle Leistung für eine konservative Partei. Vor allem angesichts der Tatsache, dass einzelne (vormals bündnisgrüne) CDU-Politikerinnen den endgültigen Durchbruch neuerdings mit ihrem Busen zu schaffen wild entschlossen sind. Frau Sezgin jedenfalls ist begeistert. "CDU Thüringen sticht Grüne NRW", schreibt sie, und das klingt wie: "Basketballer besiegen Tischtennisspieler mit 2:0".

     

    Thüringer Lehrer müssen einstweilen weiter Kinder vermeintlicher Sans papiers "nach oben" melden, auf dass die auf strikten politischen Befehl der CDU handelnden Vollzugsorgane der Eltern habhaft werden können. Nein, nicht zwecks Integration. Nur zum Zwecke der Abschiebung. Kein Problem, so lange die Partei nur auf Zucht und Ordnung hält und ihre (männlichen) Mitglieder Frauen nicht mit Sex in Verbindung bringen? Und überhaupt: Wieso lassen diese dämlichen Migranten sich nicht auch einbürgern? Dann könnten ihre Kinder die Schule besuchen und später, wenn sie gar fleißig waren, für die taz schreiben. Ja, warum eigentlich? Frau Sezgin sollte mal jemanden fragen, der sich mit derlei Dingen auskennt.

     

    Hilal Sezgin hat Mitleid mit den Menschen, die sich durch Sprache (in Bild und Ton) verletzt fühlen. Ihnen gesteht sie zu, dass ihre Gefühle die Realität spiegeln. Für die allerdings, mit denen gar nicht erst geredet wird (weder in Bild noch in Ton), sondern denen man gleich mit ganz und gar nackter, allerdings rundum demokratisch verbrämter Gewalt begegnet, hat sie weniger von ihren großen Gefühlen übrig. Diese Menschen zählen offenbar überhaupt nicht für sie.

     

    Erst kommt das Fressen, dann die Moral, sagen die Materialisten. In diesem Fall bin ich einer von ihnen. Mögen die Idealisten dem (heiligen) Geist die Priorität einräumen. Ich glaube daran, dass ein Durchschnittsmensch, der Angst um die bloße Existenz haben muss, keine Politik machen kann. Für Frauen nicht, für Migranten nicht und auch sonst für nichts und niemanden. Ein Durchschnittsmensch, der Angst um die bloße Existenz haben muss, kann höchstens Gewalt. Gewalt aber lehne ich ab.

     

    Wissen Sie was, Frau Sezgin? Es ist schon lange kein Gott mehr dazwischen gefahren, wenn Väter ihre Söhne zur Schlachtbank geführt und da das Messer angesetzt haben. Gott nämlich wurde auf geheiß der Gläubigen abgeschoben. Seither müssen wir Menschen selber denken. Ich finde, es könnte nicht schaden, wenn wir langsam damit anfangen würden.

     

    ***Anmerkung der Redaktion: Dieser Kommentar wurde im Nachhinein um zwei Absätze gekürzt, in denen die Autorin des kritisierten taz.de-Artikels, Hilal Sezgin, in unangemessener Weise geschmäht wurde. Auf diese Passagen beziehen sich auch einige der folgenden Kommentare.

    Wir bitten unsere Leser, bei ihren Kommentaren andere mit Respekt zu behandeln.